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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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informieren, die Fähigkeit haben, es mir so zu sagen, dass ich die Botschaft verstehe und auch bei schlechten Nachrichten Kraft finde, damit umzugehen. Ich möchte, dass ich so früh wie möglich und umfassend über alles aufgeklärt werde, was für die nächsten Schritte wichtig ist, und dass Informationen nicht verschoben werden, weil es vielleicht noch nicht der richtige Zeitpunkt ist, darüber zu reden. Ich möchte, dass man mich früh- und rechtzeitig über alles informiert, was mich im Sterben erwarten könnte und dass man mich dabei unterstützt, weitere Informationen zu bekommen. Das betrifft in besonderer Weise Informationen zur Beurteilung der Prognose und des weiteren Verlaufs, aber auch zur eigentlichen Sterbephase. Ich möchte mich auf den Augenblick des Todes so vorbereiten, dass ich mich ihm mit einer neugierigen Perspektive annähern kann. Ich habe keine Angst – zumindest jetzt noch nicht. Ich möchte keine Informationen über das Jenseits, selbst wenn jemand denkt, er könnte dazu etwas sagen. Ich möchte mit den Ärzten und meinen Angehörigen über die medizinische und notfallmedizinische Versorgung reden, in Ruhe meine Vorstellungen zur Bestattung und Trauerfeier und andere wichtige Dinge mit meinen Angehörigen besprechen. Ich möchte, dass meine Angehörigen alle Informationen so bekommen, dass auch sie Kraft finden, damit umzugehen.
    Ich bin mir nicht sicher, ob der physische Tod auch das Ende ist. Und ob mit dem Todesmoment die individuelle Erkenntnisgrenze aufgehoben ist, wird auch bei meinem Tod ein Geheimnis bleiben. Nichtsdestotrotz hat die Annäherung einen Erkenntnisreiz. Der berühmte Wiener Gelehrte und Anatom Joseph von Hyrtl hat einmal am Beispiel der Embryonalentwicklung zu verdeutlichen versucht, dass die Situation des Todes mit dem Phänomen der Geburt vergleichbar sein könnte.
    »Der Embryo im Mutterleib müsste, sofern er Selbstbewusstsein hätte und im Voraus wüsste, was beim Vorgang der Geburt mit ihm geschehen wird, diesen Vorgang zweifellos für seine absolute Vernichtung halten: Die ihn umschließenden Hüllen zerreißen, das Fruchtwasser – sein Lebenselement – fließt fort: die Nabelschnur, die ihn ernährt, wird zertrennt, und überdies hat er, aller Lebensmöglichkeit beraubt, den erstickenden Sturz durch würgende Enge zu tun. Ja, stünde der Embryo auf dem Boden der Tatsachen, kein Zweifel, ein Überleben der Geburt müsste für ihn indiskutabel sein. – Aber er weiß nicht, dass in ihm andere Organe für ein Leben in einer anderen Welt bereits vorsorglich angelegt sind: Lungen, um Luft zu atmen. Augen, um den Kosmos der Farben und Formen zu schauen, und mehr noch: diese anscheinend hoffnungslose Vernichtung, der Geburtsakt, ist in Wahrheit der Weg ins eigentliche Leben. Insofern haben wir kein Recht, den Tod, der uns ebenfalls alles Leben zu rauben scheint, aus der lediglich irdisch-biologischen Perspektive zu beurteilen. Wir irren dann, wie gedachter Embryo, im Hinblick auf die Geburt irren würde.« 217
8. Spirituelle und emotionale Unterstützung
    Die Konfrontation mit existentiellen und spirituellen Fragen hat mein Leben mit unterschiedlicher Intensität begleitet. Diese Erfahrungen haben nicht nur meine Lebensgeschichte, sondern auch meine Überzeugungen bestimmt. Die wichtigste sinnbestimmende Erfahrung war sicherlich der Suizid meines Bruders Klaus im Alter von siebzehn Jahren, eine Erfahrung, die mich mein Leben lang begleitet hat. Aber es gehören auch andere Erfahrungen dazu: die eigene Todesnähe nach einem Unfall als Zehnjähriger, emotionale Geschenke, die mir Sterbende bereitet haben, Einsichten und Erkenntnisse, Freunde, die mich bewegten und stützten, die Kraft der Liebe von und zu anderen Menschen, Gefühle des Glücks und der Traurigkeit ... Ich bin den Menschen – den Sterbenden und Toten –, die mir diese Erfahrungen ermöglicht haben, sehr dankbar, besonders sogar denjenigen, die mir gezeigt haben, wie sinnstiftend und prägend auch der Schmerz sein kann. Ich habe keine Erfahrung zur Sinnfindung im eigenen Sterben. Es ist ja das erste und einzige Mal. Doch ich wünsche mir, dass meine Fragen nach Sinn so aufgenommen werden, dass die Bedeutung des Todes für die Sinnfindung des Lebens derer, die bleiben, Trost gibt. Ich wünsche mir, dass meine Fragen nach Sinn keine Fragen der Verzweiflung sind, sondern solche, in denen die Sehnsucht nach Verbundenheit und Hoffnung hinter dem Horizont gespürt werden kann. Ich wünsche mir, dass meine
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