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Abschied braucht Zeit

Abschied braucht Zeit

Titel: Abschied braucht Zeit
Autoren: H Christof Mueller-Busch
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Vorzug gebe. Ich möchte die Möglichkeit haben, mich mit dem Sinn des Leidens zu beschäftigen, aber ich möchte mich nicht quälen.
6. Wählen können, wo man sterben möchte (zu Hause oder anderswo)
    Früher habe ich mir immer gewünscht, mich zum Sterben wie ein Eremit in eine Höhle oder irgendwohin auf einen Berg zurückziehen zu können. Später hatte ich die Vorstellung vom Sterben in vertrauter Umgebung auf dem Land, und dass mein Sterbetag durchaus feierlich begangen werden könnte.Wenn ich mir heute wünschen dürfte, wo mein Tod stattfindet, so am liebsten dort, wo ich mein Sterben und alle Beteiligten mich am besten ertragen können – vielleicht an einem Herbsttag im Garten oder im Park oder im Frühling auf einer Wiese. Es soll keine traurige Umgebung sein, sondern eine schöne – am liebsten sogar eine heitere Umgebung. Wenn es geht, möchte ich in einem Sessel sitzend oder sogar stehend dem Tod entgegensehen. Vielleicht sind dies romantische Vorstellungen, das Wichtige daran ist aber, dass für mich zu einem würdigen Sterben auch eine gewisse Ästhetik, zumindest aber Harmonie gehört. Dies kann sicherlich auch anderswo möglich sein oder geschaffen werden z.B. durch Musik. Vorstellungen zum Sterbeort ändern sich häufig – er wird auch immer weniger bedeutsam, je näher der Sterbemoment kommt. So zeigte die Studie von Karen Steinhauser, dass für Schwerstkranke der Sterbeort nur eine sehr geringe Bedeutung für ein gutes Sterben hat. Wichtiger als ein vertrauter Raum sind auch für mich Sicherheit und Geborgenheit, eine Privatheit, die es zulässt, dass mein Sterben für alle Beteiligten mit dem Gefühl der Stimmigkeit und Erfüllung im Respekt vor meinem Willen und meiner Identität verbunden wird. Insofern ist die Wahl des Sterbeortes vielleicht vielmehr eine Aufgabe für die Menschen, die mein Sterben begleiten. Getragen und ertragen werden – so soll es sein.
    Ludwig Wittgenstein schrieb einst den berühmten Satz: »Für das Leben in der Gegenwart gibt es keinen Tod. Der Tod ist kein Ereignis des Lebens. Er ist keine Tatsache der Welt.« Sein Biograph Ray Monk berichtet, dass der berühmte Philosoph keineswegs erschrocken war, als er von seinem Hausarzt die Diagnose Krebs erhielt, nachdem er schon längere Zeit die Anzeichen eine bösartigen Erkrankung in sich gespürt hatte. Erstaunt war er nur, als er hörte, man könne etwas dagegen unternehmen. Wittgenstein lehnte jedoch alle von seinem Hausarzt empfohlenen Behandlungsversuche ab, vielmehr zog er wenige Monate später einfach in das Haus des Arztes ein, regelte seine letzten Angelegenheiten und verbrachte dort die letzten vier Monate seines Lebens. Der Arztgattin gab er eine letzte Nachricht an seine Freunde mit: »Sagen Sie ihnen, dass ich ein wundervolles Leben gehabt habe.« 215
    In seinen letzten handschriftlichen Aufzeichnungen in den Jahren 1950 und 1951 hatte Wittgenstein sich mit dem Thema der »Gewissheit« beschäftigt. Er setzt sich in diesen nach seinem Tod erschienenen Notizen mit dem Irrtumsbegriff und den Erkenntnisgrenzen zur Wahrheit auseinander, behandelt aber auch die Bedeutung des Zweifels, der nur in einem System von Gewissheiten sinnvoll wird. Sein letzter Eintrag in seine Aufzeichnungen am 27. April 1951 – zwei Tage vor seinem Tod – greift eine Frage auf, die viele Sterbende bewegt und ihn selbst wohl auch im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung nach Gewissheit beschäftigt hat: »Vielleicht träume ich?«: »Aber wenn ich mich auch in solchen Fällen nicht irren kann, – ist es nicht möglich, dass ich in Narkose bin? Wenn ich es bin und wenn die Narkose mir das Bewußtsein raubt, dann rede und denke ich jetzt nicht wirklich. Ich kann nicht im Ernst annehmen, ich träume jetzt. Wer träumend sagt ›Ich träume‹, auch wenn er dabei hörbar redete, hat so wenig recht, wie wenn er im Traum sagt ›Es regnet‹, während es tatsächlich regnet. Auch wenn sein Traum wirklich mit dem Geräusch des Regens zusammenhängt.« 216 Am Abend des nächsten Tages verliert Wittgenstein das Bewusstsein und stirbt am Morgen des 29. April 1951 nach kurzer Agonie im Haus seines Arztes.
7. Alle Informationen bekommen
    Ja, ich möchte wissen, was kommt – ich möchte, dass man mir nichts vorenthält und mit Wahrhaftigkeit antwortet, wenn ich frage. Ich muss nicht alles wissen, was an Nachrichten und an Befunden zu mir vorhanden ist, aber wenn ich etwas wissen möchte, wünsche ich mir, dass die Menschen, die mich
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