Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abendland

Abendland

Titel: Abendland
Autoren: Michael Köhlmeier
Vom Netzwerk:
der Küche miteinander geschlafen hatten, war ich hinterher hinübergegangen, hatte Norma vom Plattenspieler geräumt und Chuck Berry aufgelegt. Ich besaß eine Platte mit alten Chess -Aufnahmen, der unsentimentalste Blues, der mir je begegnet ist; völlig zu Recht war eine Jury der Menschheit übereingekommen, Chuck Berrys Musik ins Weltall zu schießen, um anderen Zivilisationen einen guten Eindruck von uns zu vermitteln; Bellini mußte zu Hause bleiben, auch Maria Callas und Ebe Stignani durften nicht mitfliegen. Wir hatten uns etwas übergezogen und waren durch die Wohnung getanzt, und Dagmar war hungrig geworden und hatte über der Abwasch Essiggurken und Kartoffelsalat gegessen. Wee Wee Hours , wenn ich mich recht erinnere, Willie Dixons I Just Want to Make Love to You und Blues for Hawaiians – also für uns beide. Unsere hawaiianische Küche in der Danneckerstraße, dreieckig und mit einer türkisgrünen Badewanne auf einem Podest. Wie lange hatten Dagmar und David dort noch gewohnt, nachdem ich ausgezogen war? Weihnachten gefeiert, Geburtstage gefeiert, Freunde eingeladen, Hausaufgaben gemacht, über mich geredet oder nicht über mich geredet.
    Dagmar war eingeschlafen. Es sah jedenfalls so aus.
    Als ich wieder in meinem Zimmer war, war es Viertel vor eins. Ich zappte durch die Fernsehprogramme. Punkt eins wählte ich ihre Handynummer. Sie nahm nicht ab. Ich rollte mich unter die Zudecke, löschte das Licht. Wartete. Wettete wieder mit mir. Ich zähle auf hundert. Bei vierunddreißig klingelte das Handy.
    »Also gut«, sagte sie, »immer am Freitag nachts um eins. Versuchen können wir es ja.«
    »Jetzt ist Freitag nachts um eins.«
    »Heute gibt es nichts zu besprechen. Darf ich auflegen?«
    »Laß mich auflegen.«
    »Fühlst du dich sonst verlassen?«
    »Ja.«
3
    Frau Mungenast holte uns im Hotel ab. Wir verteilten uns auf zwei Taxis. Als wir in Lans über den Berg kamen, sahen wir schon von weitem die Autos, die an dem Weg durch das Maisfeld standen, Stoßstange an Stoßstange. Für uns seien Plätze ganz vorne beim Grab reserviert, sagte Frau Mungenast. Wir stiegen bei der Haltestelle der Lanserbahn aus und gingen an den Autos entlang zum Dorf. Ich hakte mich bei David unter. Nach ein paar Schritten drehte er sich um und blickte zur Villa hinüber. Nun blieben wir alle stehen. Ich stellte Frau Mungenast den anderen vor, im Hotel war keine Zeit dazu gewesen. David sagte, sie kennten einander vom Telefon. Ihr Blick wich mir aus. Sie trug ein schwarzes Kostüm. Ihr Gesicht war voll Schminke. Zu meiner Mutter sagte sie, Carl habe viel von ihr erzählt, sie habe den größten Respekt vor ihrem Entschluß, der Welt den Rücken zu kehren.
    »Was geschieht mit dem Haus?« fragte ich.
    »Die es wissen müssen, die wissen es«, antwortete sie, und zwar in einem Ton, der so abkanzelnd war, daß ich mich in den Boden schämte, obwohl es keinen Grund dafür gab.
    Meine Mutter schob sich flink zwischen David und mich und hängte sich bei uns beiden ein, warf den Kopf zurück und lachte in den Himmel, wie man es von Bildern mit glücklichen Nonnen kennt. Ich zog Dagmar zu mir herüber, nun bildeten wir vier eine Phalanx, und wir nahmen die gesamte Breite des Weges ein, es wäre kein Platz mehr an unserer Seite gewesen. Frau Mungenast drehte sich um und hackte voran. – Was bildete sie sich eigentlich ein! Daß ich, daß einer von uns auf ein Erbe spekulierte? Natürlich hatte ich mir meine Gedanken gemacht, aber andere Gedanken, als sie mir unterstellte. Ja, ich hielt es für wahrscheinlich, daß Carl zumindest David etwas hinterlassen würde; und eigentlich auch wahrscheinlich, daß er mich in seinem Testament bedacht hatte – wir waren schließlich seine Patenkinder. Und Dagmar würde er auch etwas geben, und wie ich ihn einschätzte, nicht weniger als David und mir. Meine Mutter war aus dem Schneider, ihren Anteil würde das Kloster kassieren. Und wenn wir vier alles bekämen? Die Villa, das große Haus am Rudolfsplatz. Ich weiß nicht, was Carl sonst noch besessen hatte, Aktien, Konten, Anteile an Geschäften und Kontoren, er hatte nie ein Wort darüber verloren. Carl war mit Sicherheit sehr reich gewesen, sehr reich. Wem sollte er sein Vermögen hinterlassen, wenn nicht seiner Familie? Was für eine Familie wir gewesen waren, würde Frau Mungenast nie begreifen! Ich hatte schon in Wien den Vorsatz gefaßt, ein Erbe abzulehnen. Ich wollte nichts. Als Grund dafür nannte ich vor mir selbst meinen Wunsch, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher