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Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Abaddons Tor: Roman (German Edition)

Titel: Abaddons Tor: Roman (German Edition)
Autoren: James S. A. Corey
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dort. Sie schwebte nicht. Es gab Schwerkraft. Sie wusste nicht, ob es Rotation oder Schub oder vielleicht sogar der ruhige Zug einer großen Masse war, wie sie nur ein Planet besitzen konnte. Jedenfalls war es schön, wieder ein Gewicht zu haben. Es bedeutete, dass irgendetwas richtig verlaufen war. Irgendetwas funktionierte.
    Als sie die Augen schloss, träumte sie, sie habe Ren ermordet und die Leiche im eigenen Körper versteckt, sodass sie um jeden Preis eine Röntgenuntersuchung vermeiden musste, damit er nicht gefunden wurde. Es war eine Erleichterung, aufzuwachen und festzustellen, dass alle schon Bescheid wussten.
    Manchmal kam Tilly und setzte sich an ihr Bett. Sie sah aus, als hätte sie geweint. Clarissa wollte fragen, was sie bekümmerte, hatte aber nicht genug Kraft. Manchmal war auch Anna da. Die Ärztin, die nach ihr sah, war eine schöne alte Frau mit Augen, die alles gesehen hatten. Cortez ließ sich nie blicken. Sie schlief, wachte auf und verlor das Zeitgefühl. Sie genas und war krank. Es war schwer, die Grenzen zu erkennen.
    Einmal fuhr sie auf, als sie Stimmen hörte. Die verhasste Stimme. Holden. Er stand mit verschränkten Armen am Fußende ihres Betts. Naomi war bei ihm, die anderen auch. Der Hellhäutige, der aussah wie ein Lastwagenfahrer, und der Braune, der an einen Lehrer erinnerte. Amos und Alex. Die Crew der Rosinante . Die Leute, die sie nicht hatte töten können. Sie war froh, sie zu sehen.
    »Das geht auf gar keinen Fall«, sagte Holden.
    »Schauen Sie sie doch an«, wandte Anna ein. Clarissa verrenkte sich den Hals, um die Frau anzublicken, die hinter ihr stand. Die Priesterin schien gealtert, verhärmt. Wie destilliert, eingekocht auf etwas, das ihre Essenz sein mochte. Schön war sie auch. Schön und schrecklich und kompromisslos in ihrer Leidenschaft. Man sah es dem Gesicht an. Es war schwer, sie anzublicken. »Sie wird umkommen.«
    Alex, der Lehrertyp, hob die Hand.
    »Sie meinen, sie wird mit ihrem Anwalt vor Gericht stehen, weil sie ein paar Leute getötet hat, was wir aber sowieso schon wissen.«
    Das habe ich getan, dachte Clarissa. Es ist wahr. Anna presste die Hände zusammen.
    »Ich meine, dass ich dies will«, erklärte Anna. »Eine Verhandlung. Anwälte. Gerechtigkeit. Aber irgendjemand muss sie sicher von hier bis zum Gericht auf Luna befördern. Da nun die Evakuierung beginnt, haben Sie das einzige unabhängige Schiff in der langsamen Zone. Sie sind die einzige Crew, der ich zutraue, sie sicher herauszubringen.«
    Naomi sah Holden an. Clarissa konnte nicht erkennen, was in der Frau vorging.
    »Ich lasse sie nicht auf mein Schiff«, beharrte Holden. »Sie hat versucht, uns zu töten. Bei Naomi hätte sie es beinahe geschafft.«
    »Außerdem hat sie euch beide gerettet«, widersprach Anna. »Und alle anderen auch.«
    »Ich bin nicht sicher, ob ich ihr etwas schuldig bin, nur weil sie sich einmal wie ein anständiger Mensch verhalten hat«, erwiderte Holden.
    »Das sage ich ja auch nicht«, meinte Anna. »Aber wenn wir ihr nicht die gleiche Gerechtigkeit widerfahren lassen, die wir auch für uns selbst verlangen würden …«
    »Hören Sie mal, Rotkäppchen«, unterbrach Amos. »Alle in diesem Raum außer Ihnen und dem Kapitän haben flexible Moralvorstellungen. Wir alle haben uns die Hände schmutzig gemacht. Darum geht es doch gar nicht.«
    »Es ist eine taktische Frage«, behauptete Alex.
    »Wirklich?«, fragte Holden.
    »Genau«, stimmte Naomi zu. »Angenommen, sie ist für sich genommen keine Gefahr. Wenn wir sie an Bord nehmen, um sie an einen sicheren Ort zu transportieren, bekommen wir es aber immer noch mit drei verschiedenen juristischen Systemen zu tun, und dabei ist unsere Situation sowieso schon, sagen wir mal, angespannt.«
    Clarissa streckte die Hand aus, fasste Anna am Hemd und zog sie an sich wie ein Kind die Mutter.
    »Schon gut«, krächzte sie. »Ich verstehe das. Schon gut.«
    »Wie viel?«, fragte Anna. Als sie die verständnislosen Mienen sah, fuhr sie fort: »Wenn es nur um die Abwägung zwischen Risiko und Gewinn geht, wie viel müssten Sie dann bekommen, damit es sich lohnt?«
    »Mehr, als Sie haben«, erwiderte Holden. Es klang verlegen. Er wollte Anna nicht enttäuschen und wollte zugleich nicht das tun, was sie verlangte. Er konnte nur verlieren.
    »Was ist, wenn ich die Rosinante kaufe?«, fragte Anna.
    »Sie steht nicht zum Verkauf«, wehrte Holden ab.
    »Nicht von Ihnen. Ihre juristischen Schwierigkeiten sind mir bekannt. Was ist, wenn
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