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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni
Autoren: Brigitte Glaser
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Auseinandernehmen und Weiterverwerten, ungekrönte Könige des Schrotts. Morgen früh würde von dem Auto nur noch ein Gerippe hier stehen. Darauf würden dann tagsüber die Kinder der Siedlung herumturnen, und nachts würden sich die Busch-People, die hinten am Bahndamm hausten und wirklich alles gebrauchen konnten, den Rest holen. Jenny huschte geschwind durch das Blaue Tor auf den großen Innenhof der Roten Burg. Gleich war sie zu Hause. Die drei Pappeln am Bolzplatz rauschten leise und die Blüten der Holunderbüsche am Spielplatz sprenkelten die Luft mit einem süßlich frischen Frühlingsduft. Die alte Schaukel quietschte im Nachtwind.
    Obwohl der Weg quer über den Spiel- und Bolzplatz viel kürzer war, ging Jenny nachts immer an den Häusern entlang zu ihrem Wohnblock. Vorsichtsmaßnahme. Hier war es nicht klug, bei Dunkelheit einen unbeleuchteten, hinter Büschen verborgenen Platz zu überqueren. Auf dem Weg entlang der Häuser funktionierte zumindest jedes zweite Außenlicht. Oft traf Jenny beim nach-Hause-kommen noch die eine oder andere, weil fast alle Mädchen aus der Siedlung nachts diesen Weg benutzten. Dann erzählte man sich, wo man gewesen war und was man gemacht hatte, aber heute begegnete ihr niemand mehr. Das war ihr sehr recht, denn über heute Abend würde sie sowieso nicht reden wollen.
    Auf Höhe ihres Hauses trat sie ein paar Schritte auf das Grasstück mit den Wäscheleinen, von wo aus sie hoch zu ihrer Wohnung im dritten Stock sehen konnte. Kein Licht mehr. Ihre Mutter schlief schon. In Jennys Erleichterung mischten sich die Bilder vom Friesenplatz. Toni, dann der Dürre mit den grausamen Augen, die Todesangst im Blick des Jungen, und schließlich die nahende Bahn. Sie musste das alles ganz, ganz schnell vergessen.
    Während sie drei ausgebleichte Kittelschürzen streifte, die noch auf der Wäscheleine hingen, nahm sie einen Schatten hinter dem alten Holunderbusch wahr. Sofort umklammerte sie den Kugelschreiber in ihrer Jackentasche und zückte mit der anderen Hand ihren Schlüssel. Langsam, ohne den Schatten aus den Augen zu lassen, schritt sie rückwärts auf die Haustür zu. Die Geräusche, die mit einem Mal hinter dem Busch hervordrangen, kannte Jenny. Da kotzte sich einer die Seele aus dem Leib. Einer, der so würgte und röchelte, war nicht gefährlich. Sie brauchte sich nicht sofort in Sicherheit zu bringen. Neugierig blieb sie noch einen Moment stehen. Sie wollte zu gerne wissen, wem es da so mies ging. Die Schürzen an der Leine rochen nach der alten Fedotowa aus dem ersten Stock, die manchmal vergaß, ihre Wäsche abzunehmen. Aber so hässliche Schürzen klaute sowieso keiner. Die Würggeräusche verstummten. Ausgerechnet Toni trat jetzt auf den Rasen und grinste sie schief an. Jennys Herzschlag beschleunigte sich. Wo waren die beiden anderen? Erleichtert stellte sie fest, dass er alleine war.
    Â»Scheiß Abend, scheiß Nacht, aber jetzt geht es mir besser«, erklärte Toni. Mit den Händen hielt er sich an ein paar Holunderzweigen fest und mit den Beinen wackelte er hin und her, als wäre der Rasen unter seinen Füßen ein schwankendes Schiff. Nüchtern war der noch lange nicht. Wo hatte er die beiden Schläger gelassen? Lungerten sie weiter hinten beim Bolzplatz herum oder war er alleine nach Hause gekommen? Funktionierte sein Gedächtnis oder hatte er einen Blackout?
    Â»Morgen wird’s dir so richtig dreckig gehen«, prophezeite Jenny.
    Â»Was machst du denn so spät noch unterwegs?«, stakste er sich mühsam zusammen.
    Â»Nichts Besonderes!« Jenny zuckte mit den Schultern und stiefelte zum Hauseingang. Zu gerne hätte sie Toni ins Gesicht gesagt, dass sie ihn nach der Schlägerei am Friesenplatz für eine richtig miese Ratte hielt, aber wegen der beiden anderen Typen musste sie vorsichtig sein. Was, wenn die erfuhren, dass es eine Zeugin gab?
    Â»Man sieht sich«, lallte Toni.
    Wird sich nicht vermeiden lassen, dachte Jenny und schloss die Haustür auf. Sie würde sich später überlegen müssen, wie sie in Zukunft mit Toni umging. Das Flurlicht in Parterre war kaputt, im Dunkeln schlängelte sich Jenny an den Kinderwagen vorbei ins Treppenhaus. Obwohl sie ganz sacht auftrat, knarrte bei der alten Holztreppe jede Stufe. Als sie den Schlüssel in die Wohnungstür steckte, hörte sie von drinnen Rintintins
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