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8 Tage im Juni

8 Tage im Juni

Titel: 8 Tage im Juni
Autoren: Brigitte Glaser
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er das überprüfen. Aber das Mädchen beachtete ihn nicht. Sie tippte weiter auf ihr Handy ein. Es schien ihr nichts auszumachen, mitten in der Nacht allein auf die Bahn zu warten.
    Er hatte kein Handy. Bedauerte er, dass er keines besaß? Immerhin könnte er damit jetzt spielen und die Wartezeit überbrücken. Oder zu Hause anrufen und hören, ob sein Vater schon zurück war. Quatsch! Jeder hatte ein Handy. Da war es einfach cooler, wenn man keines hatte.
    Noch vier Minuten. Die Plakatwände auf der gegenüberliegenden Seite warben für die Türkei als Urlaubsland. Blauer Himmel, türkisfarbenes Wasser, eine weiß getünchte Hotelanlage direkt am Strand gelegen. Einmal war er mit seinem Vater in der Türkei gewesen, Cluburlaub in Antalya. Nicht schlecht, aber Cluburlaube glichen sich wie ein Ei dem anderen. Lovis fand es viel spannender, ein Land wirklich zu entdecken. Er freute sich deshalb, dass Gustav dieses Jahr Geld für eine Reise in die USA springen ließ. Mit einem Mietwagen wollten sie gemeinsam die Westküste herunterfahren. San Francisco, Los Angeles, vielleicht New Orleans. Wenn bei Gustav nicht wieder ein wichtiger beruflicher Auftrag dazwischenkam! Noch drei Minuten.
    Lovis hörte sie, bevor er sie sah. Das Grölen, das Stolpern, das Klirren einer Flasche. Es waren drei und sie kamen genau auf ihn zu. Lovis sah sich nach dem Mädchen um. Es war verschwunden. Kein Mensch weit und breit, den er hätte um Hilfe bitten können. Stattdessen die drei: kahlrasierte Schädel, Tattoos, Muscleshirts. Durchtrainiert, angetrunken, hohl in der Birne. Die drei und er: der pure Horror, ein Albtraum, die Hölle. Er blickte auf die elektronische Anzeige. Zwei Minuten musste er sie hinhalten können. Sie standen jetzt direkt vor ihm.
    Â»Haste mal ’ne Kippe?« Der Kleinste der drei zeigte grinsend ein paar kaputte Zähne.
    Â»Ich rauch nicht.«
    Höhnisches Lachen aus drei Kehlen. Sein panischer Blick auf die Anzeige. Immer noch zwei Minuten.
    Â»Aber ’nen Euro haste doch für uns, besser fünf. Damit wir uns Kippen kaufen können.« Der mit den breitesten Schultern schubste ihn in Richtung Bahngleise. Wo war das Mädchen hin, verdammt? Die hatte doch ein Handy.
    Â»Sorry, ich, ha-hab nur noch siebzig Cent.« Scheiße, dachte Lovis, weil er jetzt anfing zu stottern. Fiebrig fingerte er in seiner Hosentasche nach dem Geld. Die Jacke rutschte ihm von den Schultern und glitt zu Boden. Er hielt dem mit den breiten Schultern die Münzen hin.
    Â»Willst uns verarschen, was? Los, rück dein Handy raus!« Das war der Dritte. Groß, dürr, eine sanfte Stimme, aber der grausame Blick eines Psychopathen.
    Â»Ich ha-ha-hab k-k… kein Handy.« Lovis spürte, wie ihm die Hitze in den Körper schoss. Glühende Ohren, feuchte Hände, nasse Achseln, Schweißtropfen auf der Stirn, die Füße auf dem Boden festgenagelt. Wahrscheinlich roch er meilenweit nach Angst. Wieder ein Blick auf die Anzeige. Noch zwei Minuten. Ein Blick auf die Bahnsteige. Niemand, der die letzte Bahn nehmen wollte.
    Â»Fred-Perry-Klamotten, aber kein Handy.« Der Psychopath.
    Die drei verständigten sich mit kurzen Blicken. Dann ging alles ganz schnell. Sie schlugen zu. In den Magen, auf die Nase, in die Kniekehlen. »Hö-hö-hört auf«, schrie Lovis und schützte abwechselnd Kopf und Magen vor den Schlägen, bevor er zu Boden ging. Tritte in den Hintern, in die Rippen, auf den Kopf. Immer härter, immer schneller schlugen sie, immer weiter drängten sie seinen Körper in Richtung Gleise. Lovis krampfte die Hände um die Bahnsteigkante. Ein kräftiger Tritt von hinten und er fiel. Steine bohrten sich in seine Knie, sein Kopf krachte auf kaltes Metall. Deutlich hörte er das Grollen der nahenden Bahn.
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    Jenny sah sich auf dem Handy die Fotos der Katzenbabys an. Das Getigerte hatte ums Auge herum einen schwarzen Fleck, so als hätte das Kleine schon direkt nach der Geburt eins auf die Nase bekommen. Das musste einfach Rocky heißen. Rocky wie der Boxer. Bei dem Grauen krönte ein weißer Puschel die Schwanzspitze. Vielleicht Flöckchen? Süß waren die zwei. So winzig, so verspielt. Und so witzig, wenn sie einem Wollknäuel hinterherrannten oder sich darin verhedderten. Gut, dass Mimusch nur zwei geworfen hatte! Ob sie die wohl behalten konnten? Mit Rintintin, den Meerschweinchen, dem
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