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Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Jenseits der Alpen - Kriminalroman

Titel: Jenseits der Alpen - Kriminalroman
Autoren: emons Verlag
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München, 2. bis 25.   August 1997
    Er spürte einen beißenden Schmerz. Er kam von nirgendwoher und fuhr direkt durch ihn hindurch. Als steche jemand mit glühenden Nadeln in die empfindlichsten Punkte seines Körpers. Als der Schmerz wieder nachließ, waren zwanzig Minuten vergangen. Ein heftiger Regenschauer trommelte gegen das Wohnzimmerfenster, das auf den belebten Elisabethplatz hinausging.
    Dieser Schmerz beherrschte ihn immer häufiger. Er war so etwas wie sein Herr geworden, dem er bedingungslos ausgeliefert war und dem er zu gehorchen hatte. Er stand auf, streckte den Rücken und dachte nach.
    Joe Ottakring steckte in abgewetzten Jeans, die von hellen Hosenträgern gehalten wurden. Darüber trug er eine schwarzsamtene Trachtenweste mit zwei seitlichen Innentaschen und silberfarbenen Knöpfen. Ende des Jahres würde er seinen siebenundvierzigsten Geburtstag feiern, falls seine Kreuzschmerzen ihn nicht vorher umbrachten. Tiefe Tränensäcke ließen ihn bei genauerer Betrachtung älter wirken. Außerdem war Ottakring ein ehrgeiziger Mordermittler, er war ziemlich belesen und ziemlich verliebt. Er bewohnte eine geräumige Altbauwohnung im dritten Stock eines Achtzehn-Familien-Hauses im Münchener Norden. Die drei Meter hohen Räume waren mit wertvollen Gemälden bestückt, und Ottakring fuhr – wenn er fuhr – einen sechs Jahre alten orangefarbenen Sportwagen deutscher Fabrikation mit zweihundertfünfzig PS .
    Der Kriminalrat hatte sich – wie meist am Wochenende – Arbeit mit nach Hause genommen. Unter anderem hatte er auf der Dienststelle angeordnet, zu jeder Zeit über alle greifbaren Kapitalverbrechen im mitteleuropäischen Raum informiert zu werden. Die Presseartikel darüber wollte er jedes einzelne Mal vorgelegt bekommen, um sich einen Überblick auch über den eigenen Tellerrand hinaus zu verschaffen.
    Er ging in die Küche und goss sich ein Weißbier ein. Er öffnete das Küchenfenster – Küche mit Balkon und Blick auf den Innenhof – und lauschte für ein paar Sekunden dem eintönigen Trommeln des Regens auf dem Ziegeldach. Dann ging er ins Wohnzimmer zurück, nahm den Artikel aus dem Mattino di Padova zur Hand und las die Übersetzung.
     

    Joe Ottakring nahm einen weiteren Schluck aus dem schlanken Weißbierglas und besah sich das abgedruckte Foto unterhalb des Zeitungsartikels.
    Die Frau hatte dunkles Haar und hohe Wangenknochen, ihre Augen waren geschlossen. Das Bild wirkte fast friedlich, doch Ottakring wusste, wie die Maskenbildner ein Gesicht verändern konnten, bevor es für die Öffentlichkeit freigegeben wurde. Das war märchenhaft.
    »Bitte dranbleiben!«, notierte Ottakring an den Rand der Seite.
    Zurück im Wohnzimmer, legte er den Ausschnitt in den Schnellhefter für den nächsten Tag und nahm eine gerahmte Fotografie von dem Sideboard neben der Tür. Lola auf einem Baumstamm sitzend. Das Bild stammte von ihrem ersten gemeinsamen Bergausflug im Frühjahr. Sie trug ein kariertes Hemd über kurzen Hosen und hatte einen Pullover über die Schultern gehängt. Ihre Augen strahlten ihn an.
    Ottakring lächelte zurück und stellte das Foto wieder an seinen Platz. Dann durchzuckte ihn ein Gedanke.
    Er kramte die Textstelle aus dem Mattino noch einmal hervor. »Sofort vorlegen, wenn identifiziert!«, merkte er zusätzlich an.
    Drei Wochen später legte Ottakring die Stirn in Falten. Er fand den aktuellen Mattino auf seinem Schreibtisch.
     

Südtirol, Gründonnerstag, 9.   April 1998
    »Wenn Engel reisen. Da schau hin, Giorgio.«
    Giorgio hatte verstanden. Seine Augen folgten der Richtung ihres gestreckten Arms und Zeigefingers.
    Amelie war in die Hocke gegangen. Ihre rechte Hand legte sich auf den Rücken ihres Hundes. Mit trillernden Fingerspitzen deutete sie an, welches unerwartete Glück sie hatten. Von Gargnano nach Riva hatte sie ein Lieferwagen mitgenommen, und nun schien ein ausgewachsener Laster auf sie zu warten.
    »Schau, dort!«
    Dort, das hieß gut fünfzig Meter vor ihnen auf der rechten Straßenseite, wo der Lkw hielt. Sein Motor lief, das Verdeck vibrierte leicht.
    Es war ein unverschämt schöner Apriltag, wie im Sommer daheim in Innsbruck. Dabei war es erst Gründonnerstag. Ein paar saubere Schönwetterwölkchen schwebten am kornblumenblauen Himmel, ein Lüftchen verhinderte noch größere Hitze. Es duftete nach frischem Grün, und Amelie bildete sich ein, das Wasser des Gardasees bis hierher riechen zu können.
    Giorgio bellte dreimal auf und zog an der Leine. Die
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