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37 - Satan und Ischariot I

37 - Satan und Ischariot I

Titel: 37 - Satan und Ischariot I
Autoren: Karl May
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Zwischenräumen mit demjenigen Geräusch aus, welches verursacht wird, wenn man ein Licht ausbläst. Der Vater gab brummende Töne von sich, genau mit denen zu vergleichen, welche eine summende Hummel verursacht – – – es schien mir unmöglich zu sein, bei einem solchen Konzert einzuschlafen; darum verzichtete ich auf sämtliche vorhandenen Hängematten und begab mich in den Hof, um mein heutiges Lager wieder aufzusuchen. Der Hund knurrte mich zunächst an, schien mich dann aber als denjenigen zu erkennen, den er heute schon neben sich geduldet hatte, und beruhigte sich. Ich schob meine Gewehre, von denen ich mich nach alter Gewohnheit nicht trennen mochte, in das Maisstroh und legte mich dann nieder, um erst zu erwachen, als der Morgen längst angebrochen war.
    Als ich den Gastraum betrat, balgten sich die Buben rund um die Bänke; Doña Elvira lag noch oder lag schon wieder in ihrer Hängematte; Señorita Felisa kochte am Herd die köstliche Schokolade, welche heute nicht nach verbranntem Mehl, sondern nach übergelaufenem Sirup roch, und der Wirt brachte eilends die Dominosteine herbei, um die gestrige Danaidenarbeit mit mir von neuem zu beginnen.
    Der Mormone hatte sich noch nicht entfernt. Er saß an einem Tisch und schien mein Erscheinen abgewartet zu haben, denn ich sah, daß er mich scharf beobachtete. Ich ließ ihn nicht sehen, daß ich dasselbe auch mit ihm tat, doch wurde es mir geradezu schwer, das Auge von ihm zu wenden; er war eine interessante, ja eine hochinteressante Persönlichkeit.
    Seine wohlgebaute Gestalt war gut und sorgfältig gekleidet und sein Gesicht vollständig glatt rasiert. Aber was für ein Gesicht war das! Sobald ich es erblickte, fielen mir jene eigenartigen Züge ein, welche der geniale Stift Gustave Dorés dem Teufel verliehen hat. Die Ähnlichkeit war so groß, daß man hätte meinen mögen, der Mormone habe Doré zu dieser Zeichnung gesessen. Er konnte nicht viel über vierzig Jahre alt sein. Um seine hohe, breite Stirne rollten sich tiefschwarze Locken, welche hinten fast bis auf die Schultern niederwallten; es war wirklich ein prächtiges Haar. Die großen, nachtdunklen Augen besaßen jenen mandelförmigen Schnitt, den die Natur ausschließlich für die Schönheiten des Orients bestimmt zu haben scheint. Die Nase war leicht gebogen und nicht zu scharf; die zitternde Bewegung ihrer hellrosagefärbten Flügel ließ auf ein kräftiges Temperament schließen. Der Mund glich fast einem Frauenmund, war aber doch nicht weibisch oder weiblich geformt; die etwas abwärts gebogenen Spitzen desselben ließen vielmehr auf einen energischen Willen schließen. Das Kinn war zart und doch zugleich kräftig gebaut, wie man es nur bei Personen findet, deren Geist den tierischen Trieben überlegen ist und sie so vollständig zu beherrschen vermag, daß andere das Vorhandensein derselben gar nicht ahnen. Jeder einzelne Teil dieses Kopfes, dieses Gesichtes war schön zu nennen, aber nur schön, vollkommen für sich, denn in ihrer Gesamtheit fehlte diesen Teilen die Harmonie. Wo aber die Harmonie fehlt, da kann von Schönheit nicht die Rede sein. Ich kann nicht sagen, ob es anderen ebenso wie mir ergangen wäre, ich fühlte mich abgestoßen. Die Vereinigung einzelner schöner Formen zu einem Ganzen, dem der Ein- oder Gleichklang fehlte, machte auf mich den Eindruck des Widerwärtigen, der Häßlichkeit. Dazu kam noch eins. Die Ähnlichkeit mit dem Doréschen Bild war mir sofort aufgefallen; je öfter ich den Mann ansah, desto deutlicher fühlte ich, daß sein Gesicht einem anderen glich, welches ich schon einmal irgendwo und irgendwann, und zwar unter Umständen gesehen hatte, welche keineswegs als Empfehlung für dasselbe genommen werden konnten. Ich sann und sann, vermochte aber weder über den Ort und die Zeit noch über die Person, welcher dieses Gesicht angehörte, in Klarheit zu kommen. Auch im Verlauf der nächsten Tage, während welcher ich den Mormonen regelmäßig des Morgens und des Abends zu sehen bekam, war es mir unmöglich, mich zu besinnen, obgleich ich je länger desto mehr zu der Überzeugung gelangte, daß ich ganz gewiß einem ihm sehr ähnlichen Menschen begegnet war, der sich entweder gegen mich selbst oder gegen eine mir befreundete Person feindlich verhalten hatte.
    Sooft Harry Melton mich sah, maß er mich mit scharfen Augen, und obgleich in seinen Blicken nur der Ausdruck der Neugierde zu liegen schien, war es mir doch, als ob dies nur deshalb der Fall sei, weil er
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