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37 - Satan und Ischariot I

37 - Satan und Ischariot I

Titel: 37 - Satan und Ischariot I
Autoren: Karl May
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bemerken?“
    „Eigentlich nicht. Sie haben die Worte gelesen?“
    „Ja, aber nicht verstanden. Der Señor ist so ernst, so stolz und so fromm, daß ich ihn nicht mit Fragen belästigen wollte. Wahrscheinlich sprach ich seinen Namen falsch aus, und da erklärte er mir, daß Harry genausoviel wie das spanische Enriquo bedeute. Darum nenne ich ihn so.“
    „Er wohnt also bei Ihnen?“
    „Er schläft bei mir, geht des Morgens fort und kommt des Abends wieder.“
    „Was treibt er inzwischen?“
    „Das weiß ich nicht. Ich habe keine Zeit, mich um jeden meiner Gäste zu bekümmern.“
    Ja, der kleine Mann spielte und schlief, schlief und spielte und konnte also unmöglich dazu kommen, einem Gast eine solche Aufmerksamkeit zu schenken. Er fuhr fort:
    „Ich weiß eben nur seinen Namen und daß er auf ein Schiff nach Lobos wartet. Der Señor spricht sehr wenig. Seine Frömmigkeit ist rühmenswert. Schade nur, daß er nicht Domino spielen kann!“
    „Woher wissen Sie, daß er fromm ist?“
    „Weil er den Rosenkranz beständig durch die Finger gleiten läßt und niemals kommt oder geht, ohne sich vor dem Heiligenbild, welches dort in der Ecke hängt, zu verbeugen und Weihwasser aus dem Becken dort an der Tür zu nehmen.“
    Ich wollte eine Bemerkung machen, hielt es aber für besser, zu schweigen. Ein Mormone mit dem Rosenkranz! Vielweiberei und Weihwasser! Das Buch Mormon und die Verbeugung vor einem Heiligenbild! Dieser Mann war jedenfalls ein Heuchler, und seine Heuchelei mußte einen Grund haben.
    Es war nicht möglich, diesen Gedanken weiter zu verfolgen, denn Señorita Felisa brachte mir jetzt eine Tasse, welche eine braune, dicke Materie enthielt, und wünschte mir, wohl zu speisen. Da der Wirt sich diesem Wunsch anschloß, so vermutete ich ganz rechtmäßigerweise, daß ich den Trank genießen solle. Ich nahm also die Tasse an den Mund und kostete, kostete wieder und kostete abermals, bis meine Zunge mir sagte, daß ich es mit einer Mixtur von Wasser, Sirup und verbranntem Mehl zu tun hatte.
    „Was ist das?“ fragte ich.
    Da schlug Felisa vor Erstaunen die Hände zusammen und rief aus:
    „Ist das möglich, Señor? Haben Sie noch keine Schokolade getrunken?“
    „Schokolade?“ fragte ich, wobei mein Gesicht einen nicht eben sehr geistreichen Ausdruck gehabt haben mag.
    „Ja, die habe ich schon oft getrunken.“
    „Nun, das ist ja welche!“
    „Schokolade? Wirklich? Das hätte ich nicht gedacht!“
    „Nicht wahr?“ nickte mir der Wirt erfreut zu. „Ja, meine Schokolade ist weithin berühmt. Wer weiß, was Sie an anderen Orten für Zeug getrunken haben. Die meinige aber ist so echt, ist so einzig, daß ein jeder, der zum erstenmal zu mir kommt, sich darüber verwundert und gar nicht glauben will, daß es Schokolade ist. Hieraus mögen Sie ersehen, daß Sie bei mir alles vortrefflich finden werden.“
    Ich war heimlich ganz anderer Meinung, hielt es aber nicht für nötig, ihm dies zu sagen, sondern erkundigte mich:
    „Was werden Sie mir als Abendbrot vorsetzen, Don Geronimo?“
    „Abendbrot?“ fuhr er überrascht auf und erklärte mir dann, indem er auf die Tasse zeigte: „Da steht es ja; das ist es!“
    „Ach so! Was geben Sie als Frühstück?“
    „Eine Tasse meiner unübertrefflichen Schokolade.“
    „Als Mittagessen?“
    „Wieder eine Tasse. Das ist das beste, was man genießen kann.“
    „Wer aber Brot und Fleisch oder ähnliches haben will?“
    „Der muß zum Bäcker und zum Fleischer gehen.“
    „So sagen Sie, ob Sie Wein haben. Die Schokolade hilft nicht gegen den Durst.“
    „Oh, ganz ausgezeichneten! Wollen Sie ein Glas?“
    „Ja. Was kostet es?“
    „Dreißig Centavos.“
    Das war nach deutschem Gelde ein halber Taler. Don Geronimo gab mir die Ehre, den Wein selbst zu holen, reichte ihn aber seiner Tochter anstatt mir. Señorita Felisa trank das Glas halb aus, ohne eine Miene zu verziehen, und gab es mir dann mit einem holdseligen Lächeln. Ich nahm einen kleinen Schluck, welcher einen sofortigen Hustenanfall zur Folge hatte. Der ‚Wein‘ war das reinste Gift, die wahre Schwefelsäure.
    „Trinken Sie langsam, langsam!“ warnte mich der Wirt. „Mein Wein ist viel zu stark für Sie, aus den köstlichsten Trauben gekeltert.“
    „Ja, er ist mir allerdings zu stark, Don Geronimo“, hustete ich. „Erlauben Sie, daß ich zum Bäcker und zum Fleischer gehe!“
    „So trinken Sie das Glas nicht vollends aus?“ fragte die Señorita.
    „Nein. Ich habe leider allzu große
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