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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
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wurde die Luft immer dünner und beeinträchtigte Atmung und Gehirn. Rulfan hielt Ausschau nach etwas, dass einer Orchidee ähnlich sah.
    Was er fand, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
    Ein Razzornest!
    Degenerierte Katzen, die sich auf den Hinterbeinen bewegten. Ihr größtes Merkmal war das Gebiss mit den dolchartigen Fangzähnen. Ein Gebiss, das wie eine Brechschere arbeite. Rulfan wusste aus Erzählungen von diesen Tieren; gesehen hatte er einen Razzor noch nie. Sie brachten ihre Jungen in einem Nest zur Welt. Die Zweige und Äste verklebten sie mit ihrem gummiartigen Speichel, der das Gebilde wie gemauert zusammenhielt. Durch die sich weiß färbende Speichelmasse sah es aus wie eine nach oben offene Eierschale.
    Rulfan überlegte, ob er seine eingeschlagene Route fortsetzen sollte, und entschied sich, einen Umweg zu machen.
    Unter seinen Füßen knirschten Steine, irgendwie klang alles lauter als sonst. Er fluchte leise und versuchte so wenig Lärm wie möglich zu machen. Auf eine Auseinandersetzung mit diesen Viechern konnte er verzichten.
    Zu spät: Ein pelziger Schädel schob sich über den Rand des Nestes. Ihm folgte ein mächtiges Maul mit Zähnen, die in der Sonne blitzten. Der Razzor richtete sich auf, als sei er gerade erwacht, und streckte sich zum guten Morgen. Rulfan verharrte. Er meinte seine Nackenhaare knistern zu hören.
    Rulfan stellte sich auf einen Angriff ein, die Rechte auf dem kühlen Griff des Säbels. Mit der anderen Hand tastete er nach dem Messer, das in seinem Gürtel steckte. Sein Instinkt erwachte, seine Sinne schärften sich. Er nahm alle Gerüche und Geräusche verstärkt wahr, meinte sogar den Herzschlag des Razzors zu hören.
    Die Katzenmutation erhob ihren knapp einen Meter hohen Körper über den Nestrand und ließ sich vornüber auf alle Viere fallen. Ihr Schädel hob sich witternd. Sie stieß einen fauchenden Laut aus. Die büscheligen Ohren zuckten. Dann zog sie ihre Hinterbeine über den Rand, setzte sich auf das Hinterteil und starrte Rulfan an.
    Rulfan ging langsam Schritt für Schritt rückwärts, wobei er den Razzor keine Sekunde aus den Augen ließ. Er wartete auf ein Anspannen der Muskulatur, bevor der Angriff erfolgte, auf jenes kleine Blitzen in den runden Augen der Raubkatze, das ihn rechtzeitig warnen würde.
    Der Razzor schüttelte den Schädel und richtete sich auf. Dann geschah etwas Sonderbares. Das Tier fauchte und sprang – aber zur Seite, nicht auf Rulfan zu! Verwirrt starrte es um sich, wackelte mit dem Kopf und fletschte die Zähne. Es schien das Interesse an der Beute verloren zu haben und wand sich, als würde es von Bienenschwärmen attackiert. Es schlug wild mit den Tatzen und verschwand schließlich jammernd im Inneren des Nestes.
    Rulfan hörte in der nachfolgenden Stille nur noch seinen eigenen Atem. Das war vollkommen verrückt! Warum hatte das Biest ihn nicht angegriffen?
    Er bewegte sich sehr langsam und sehr vorsichtig weiter, aber alles blieb ruhig. Schon bald verschwand das Nest aus seinem Blickfeld und er fühlte sich sicherer.
    Nach einer Weile wurde es schwül. Weiter unten sammelten sich Nebelschwaden, die langsam die Sicht ins Tal verdeckten. Über ihm strahlte der blaue Himmel. Eine Felsenkette erstreckte sich vor Rulfan. Steil, fast schon dräuend, wie eine warnende Mauer. Granitstein, Felseninseln erst, dann immer mehr verdichtet.
    Der erkaltete Lavastaub knirschte unter Rulfans Füßen. Er erinnerte sich an eine Geschichte, die Zarr und Lay, gemeinsam und radebrechend, erzählt hatten. Eine überlieferte Geschichte von einem Löwen, der einst eine Gazelle bis auf den heiligen Gipfel des Kilimandscharo verfolgte. Er verendete, denn wer schlechte Gedanken hegt, stirbt, ehe er den dort wohnenden Berggott erreicht.
    Habe ich schlechte Gedanken?, fragte sich Rulfan und wunderte sich sofort über seinen Aberglauben. Nein, gewiss nicht!
    Tatsächlich strahlte diese Region etwas Magisches aus. Es schien, als spräche sie zu ihm: Kehr um! Lass die Götter des Berges in Ruhe! Kehre zurück zu deinem Weib!
    An der Granitsteinmauer schoben sich Aschehalden hoch, vom Wind aufgeweht. Und endlich sah er sie. Zwischen einer Felsritze glühten ihre blauen Blüten: die Lorabi-Orchidee! Sie schienen ihn anzublicken, ja zu fixieren.
    Sie wird dich entdecken! Aldous hatte recht gehabt. Tatsächlich schien es, als warte die Pflanze nur darauf, gepflückt zu werden.
    Neben Rulfan knirschte es im Gestein. Er fuhr herum, den Säbel gezückt. Erneut
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