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244 - Der dunkle Traum

244 - Der dunkle Traum

Titel: 244 - Der dunkle Traum
Autoren: Volker Ferkau
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ein seltsames Geräusch. Habe ich Halluzinationen? Ist die Luft hier oben zu dünn?
    Oder war es der Razzor? Folgte er seiner Beute? Rulfan sicherte, sah aber nichts. Alles war still, lediglich sein pumpender Atem war zu hören. Eine kühle Böe teilte die Schwüle. Ihm war, als habe ein kalter Finger ihn berührt. Rulfan hatte von Bergwanderern gehört, die in der Einöde der Schneegrenze den Verstand verloren hatten. Ihr Geist war von den Göttern vernichtet worden.
    Wohl eher von der dünnen Luft, versuchte Rulfan dies auf eine sachliche Ebene zu hieven. Hatten die Götter deshalb den Vulkan ausbrechen lassen? Hatten sie Rache geübt an jenen, die den Berg zu erklimmen versuchten? Bei Wudan, wie komme ich auf diese absurden Gedanken? Rulfan zwang sich zur Vernunft und konzentrierte sich auf die Pflanze.
    Ich bin nicht allein! Hier ist noch etwas… jemand!
    Rulfan hockte sich hin und legte das Gesicht in seine Handflächen. Er schloss die Augen und beruhigte sich. Er musste sich Zeit lassen. Nach einigen Minuten erhob er sich wieder. Nach dem Stand der Sonne musste die Mittagsstunde schon vorüber sein.
    Er steckte den Säbel zurück und fixierte die Pflanze. Sie wuchs aus einer Felsritze, knapp oberhalb des Grates. Zu hoch, um sie mit einem Sprung zu erreichen. Dies bedeutete, dass er die Felswand von der Seite besteigen musste, um die Orchidee von oben, auf dem Bauch liegend, zu pflücken. Kein Problem! Wenn er sich beeilte und der Abstieg keine unvorhergesehenen Überraschungen bereithielt, würde er noch vor dem Nachtmahl seiner Liebsten die Blume überreichen.
    Lay hatte geschlafen, als er heute in der Nacht zu ihr geschlüpft war, und sie hatte auch noch geschlafen, als Rulfan nach zwei Stunden wirrer Träume aufgebrochen war.
    Rechts der Felsritze stieß er auf stufiges Gestein. Es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, die Wand zu erklimmen. Endlich stand er oben und blickte auf die vorgelagerte Ebene hinunter. Er fühlte sich jung, kraftvoll und lebendig wie lange nicht mehr.
    Rulfan breitete in einem Akt der Begeisterung die Arme aus. Ja, ich lebe! Könnt ihr es alle sehen? Er hatte nicht wenig Lust, einfach zu springen, zu fliegen, sich von den dichten Wolken, die das Tal bedeckten, auffangen zu lassen wie von einer Daunendecke.
    Leichter Schwindel erfasste ihn. Schon wieder unsinnige… nein, gefährliche Gedanken! Es wurde Zeit, diese Höhe zu verlassen!
    Er leerte seinen Wasserschlauch bis zum letzten Tropfen, kauerte sich dann auf die Knie und rückte behutsam an den steil abfallenden Grat heran. Er musste vorsichtig sein. Zwar waren es nicht mehr als vielleicht sechs Meter, aber der Boden unten bestand aus hartem Lavagestein. Hart genug, um sich das Genick zu brechen. Eben wollte sich Rulfan auf den Bauch legen und mit den Fingern nach unten greifen, die Orchidee pflücken, als er einen Ruck hinter sich spürte.
    Etwas prallte gegen ihn. Ein Stein? Ein Tier?
    Rulfan verlor das Gleichgewicht. Wie ein auf Knien Betender, dem man den Teppich unter den Füßen wegzieht, suchte er verzweifelt mit den Fingern nach Halt – und kippte mit dem Kopf voran nach vorne in die Tiefe.
    ***
    Netter Mann, dachte Zarr. Ist freundlich. Hat seltsame Augen, aber hat auch Freundin. Großes Huhn! Zarr mag Mann!
    Der Zilverbak schwang sich an einer Liane nach unten und ging auf die Suche. Wo war der kleine Mann, der sich Aldous nannte?
    Lay kam über den Platz gelaufen. »Zarr, hast du Rulfan gesehen?« Ihr Gesicht wirkte sorgenvoll.
    »Zarr geschlafen!«
    »Wo ist Aldous? Vielleicht weiß er etwas?«
    »Aldous weg. Zarr sucht ihn!«
    Im selben Moment hörten sie einen markerschütternden Schrei. Zarr atmete tief ein, reckte seinen mächtigen Oberkörper, packte Lay um die Hüfte, hob sie hoch, als sei sie eine Puppe und sprang in die Richtung, aus der der Schrei gekommen war.
    »Verdammtes Mistvieh!«, zeterte Lörk, eine hagere Nackthaut. Lörk lebte schon seit vielen Jahren in einer großen Bambushütte, zusammen mit einer hellhäutigen Nacktfrau und einem Kind, drei Sommer alt. Vor der Hütte pflegte Lörk mit größter Hingabe einen Garten, der alle Nutzpflanzen des Dschungels auf einen Platz konzentrierte. Zarr hatte diese Tätigkeit zunächst skeptisch beobachtet, war aber über den Erfolg beeindruckt gewesen, zumal die Gewürze die Nahrung der Dorfgemeinschaft aufwertete.
    »Verschwinde aus mei’m Garten!«, brüllte Lörk und hüpfte um die Valvona herum, die ihre Schnauze im Boden vergraben hatte. Der Schädel
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