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Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Memento - Die Überlebenden (German Edition)

Titel: Memento - Die Überlebenden (German Edition)
Autoren: Julianna Baggott
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PROLOG
     
    Ein dumpfes Brummen erfüllte die Luft, vielleicht eine Woche nachdem die Bomben gefallen waren – es war nicht ganz einfach, die Zeit im Auge zu behalten. Das Firmament hing voller schwarzer Wolkenbänke, und die Luft war schwer von Staub und Asche. Wir vermochten nicht zu sagen, ob es ein Flugzeug war oder ein Luftschiff, so schmutzig war der Himmel. Mag sein, dass ich einen metallenen Rumpf gesehen habe, einen dumpfen Schimmer, der für einen Moment zwischen den Wolken auftauchte und gleich wieder verschwunden war. Auch die Kuppel des Kapitols konnten wir noch nicht sehen. Heute steht sie hell und klar auf dem Hügel, doch damals war sie kaum mehr als ein düsterer Schein in der Ferne. Sie schien über der Erde zu schweben wie ein Gestirn, eine leuchtende Blase, völlig losgelöst.
    Das Brummen rührte von einem Lufteinsatz her, und wir fragten uns, ob weitere Bomben fallen würden. Welchen Sinn hätte das noch gehabt? Alles war zerstört, vernichtet oder verzehrt vom Feuer, überall standen dunkle Pfützen von schwarzem Regen. Einige tranken dieses Wasser und starben daran. Unsere Narben waren frisch, die Wunden und Entstellungen roh. Die Überlebenden humpelten und torkelten suchend umher, eine Prozession des Todes, in der Hoffnung, einen Ort zu finden, der verschont geblieben war. Wir ergaben uns. Wir waren erschöpft. Wir gingen nicht in Deckung. Vielleicht hofften einige von uns, dass es eine Hilfsaktion war. Vielleicht dachte ich das auch.
    Diejenigen unter uns, die noch die Kraft hatten, sich stolpernd aus den Ruinen zu erheben, taten es. Ich konnte nicht. Das rechte Bein vom Knie abwärts weg, die Hand blasenübersät von dem Rohr, das ich als Krücke benutzt hatte. Du warst erst sieben Jahre alt, Pressia, und klein für dein Alter. Du hattest Schmerzen von der frischen Wunde am Handgelenk und den Verbrennungen im Gesicht. Aber du warst flink. Du stiegst auf einen Trümmerberg, näher zu dem Geräusch, weil es verlockend klang und vom Himmel kam.
    Das war der Moment, in dem die Luft Gestalt annahm, ein Wogen aus wechselnder, flatternder Bewegung – ein Himmel voll eigenartiger, körperloser Flügel.
    Papierstreifen.
    Sie sanken herab, landeten rings um dich wie gigantische Schneeflocken von der Sorte, die Kinder aus gefalteten Blättern zu schneiden und an die Fenster ihrer Klassenzimmer zu hängen pflegten – doch sie waren nicht weiß, sondern grau von der Asche in der Luft und vom Wind.
    Du nahmst einen der Streifen, genau wie die anderen, die dazu imstande waren. Sie sammelten alle auf, bis keiner mehr übrig war. Du gabst mir den Streifen, und ich las ihn laut vor:
    Wir wissen, dass ihr hier seid,
    Brüder und Schwestern.
    Eines Tages werden wir aus dem Kapitol treten,
    um uns in Frieden mit euch zu vereinen.
    Bis dahin jedoch beobachten wir euch
    aus der Ferne, voller Gnade.

    Wie Gott, flüsterte ich. Sie wachen über uns aus der Ferne wie das gnädige Auge Gottes. Ich war nicht allein mit diesem Gedanken. Einige waren verängstigt, ehrfurchtsvoll. Andere tobten. Wir alle waren immer noch benommen, verwirrt. Würden sie ein paar von uns in das Kapitol hineinbitten? Würden sie uns den Zutritt verwehren?
    Jahre würden vergehen. Sie würden uns vergessen.
    Zuerst jedoch wurden die Papierstreifen zu etwas Kostbarem. Einer Art Währung. Das hielt nicht vor. Das Leiden war zu groß.
    Nachdem ich die Botschaft vorgelesen hatte, faltete ich den Streifen zusammen. »Ich hebe ihn für dich auf«, sagte ich zu dir. »Okay?«
    Ich weiß nicht, ob du mich verstanden hast. Du warst noch weggetreten und stumm und dein Gesicht so leer, die Augen so weit wie die deiner Puppe. Statt mit dem eigenen Kopf zu nicken, nicktest du mit dem Puppenkopf, jetzt für immer ein Teil von dir. Als seine Augen blinzelten, blinzelten auch deine.
    So war es für lange, lange Zeit.

PRESSIA
    Schränke
    Pressia liegt im Schrank. Dort wird sie schlafen, wenn sie in zwei Wochen sechzehn wird, wo die Enge des geschwärzten Sperrholzes ihre Schultern kneift, in der muffigen Luft, den reglosen Ascheflocken. Sie muss stark sein, um das zu überleben – stark und lautlos und nachts, wenn die Patrouillen der OSR auf den Straßen unterwegs sind, verborgen.
    Mit dem Ellbogen schiebt sie die Tür auf, und da sitzt ihr Großvater, zurückgelehnt in seinen Sessel gleich neben der Hintertür. Der Ventilator in seiner Kehle surrt leise vor sich hin – die Plastikflügel drehen sich in die eine Richtung, wenn er einatmet, und
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