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23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)

Titel: 23 Lügen, die sie uns über den Kapitalismus erzählen (German Edition)
Autoren: Ha-Joon Chang
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PLC, LLC, Ltd. usw. Der Buchstabe L steht in diesen Abkürzungen für limited , kurz für »limited liability«, »mit beschränkter Haftung« – public limited company (PLC, »Aktiengesellschaft«), limited liability company oder einfach limited company (Ltd., »Gesellschaft mit beschränkter Haftung«). Haftungsbeschränkung bedeutet, dass Investoren bei einem Bankrott nur das verlieren, was sie investiert haben (ihre »Aktien«).
    Was Sie vielleicht nicht wissen: Die Aktiengesellschaft hat den modernen Kapitalismus erst möglich gemacht. Heute ist diese Rechtsform selbstverständlich, doch so war es nicht immer.
    Vor der Erfindung der Gesellschaft mit beschränkter Haftung im Europa der 16. Jahrhunderts – oder der »joint-stock company«, wie sie damals genannt wurde – musste ein Geschäftsmann das volle Risiko auf sich nehmen, wenn er ein Unternehmen gründete. Und damit meine ich wirklich das volle Risiko: Er setzte nicht nur sein Privatvermögen aufs Spiel, denn im Fall eines Bankrotts musste er sein persönliches Hab und Gut verkaufen, um seine Schulden zu begleichen, sondern auch seine persönliche Freiheit, denn falls er nicht alle Schulden bezahlen konnte, landete er im Schuldgefängnis. Vor diesem Hintergrund ist es fast ein Wunder, dass überhaupt jemand bereit war, ein Geschäft aufzumachen.
    Auch nach der Erfindung der Haftungsbeschränkung gestaltete sich ihre Umsetzung bis Mitte des 19. Jahrhunderts äußerst schwierig, denn für die Gründung einer Firma mit beschränkter Haftung brauchte man eine königliche Urkunde (oder in einer Republik eine staatliche Genehmigung). Jemand, der ein Unternehmen mit beschränkter Haftung leitete, ohne sie zu hundert Prozent zu besitzen, würde, so hieß es oft, zu hohe Risiken eingehen, weil ein Teil des Geldes ja nicht ihm gehörte. Die nicht am Betrieb beteiligten Investoren eines solchen Unternehmens überwachten womöglich den Geschäftsführer nicht genügend, weil ihr Risiko ja gedeckelt war: nämlich auf die jeweilige Investitionssumme. Adam Smith, Vater der Ökonomie und Schutzheiliger der freien Marktwirtschaft, war aus diesen Gründen ein erklärter Gegner der Haftungsbeschränkung. Berühmt sind seine Worte: »Von den Direktoren einer solchen [Aktien-]Gesellschaft, die ja bei weitem eher das Geld anderer Leute als ihr eigenes verwalten, kann man daher nicht gut erwarten, daß sie es mit der gleichen Sorgfalt einsetzen und überwachen würden, wie es die Partner in einer privaten Handelsgesellschaft [die unbeschränkt haften] mit dem eigenen tun würden.« 1
    Die Haftungsbeschränkung wurde daher nur Firmengründungen zuerkannt, die ungewöhnlich groß und riskant waren und im nationalen Interesse standen, so 1602 der Niederländischen Ostindien-Kompanie, ihrer Erzrivalin, der Britischen Ostindien-Kompanie sowie der berühmt-berüchtigten Südseekompanie – der Börsenschwindel rund um die »Südseeblase« 1721 hing den Aktiengesellschaften noch lange negativ nach.
    Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch wurde mit dem Aufkommen neuer Branchen wie Eisenbahn, Stahl und Chemie der Ruf nach einer Haftungsbeschränkung lauter. Kaum jemand hatte ein so großes Vermögen, dass er ein Stahlwerk oder eine Eisenbahngesellschaft im Alleingang hätte gründen können. Nachdem Schweden 1844 den Anfang gemacht hatte, gefolgt von Großbritannien 1856, führten zwischen 1860 und 1880 auch die meisten Staaten Westeuropas und Nordamerikas die Haftungsbeschränkung zur allgemeinen Verfügung ein. Doch das Misstrauen hielt sich hartnäckig. Noch Ende des 19. Jahrhunderts, Jahrzehnte nach der Einführung der allgemeinen Haftungsbeschränkung, waren in Großbritannien einer Geschichte des westeuropäischen Unternehmertums zufolge Kleinunternehmer verpönt, »die neben dem Besitzer aktiv für eine Firma verantwortlich sind und durch die Eintragung als Aktiengesellschaft [mit beschränkter Haftung] die Verantwortung für ihre Schulden zu begrenzen suchten«. 2
    Einer der Ersten, der die Bedeutung der Haftungsbeschränkung für die Entwicklung des Kapitalismus erkannte, war interessanterweise Karl Marx, der angebliche Erzfeind des Kapitalismus. Anders als viele Befürworter des freien Marktes damals (und Adam Smith vor ihnen), die eine Haftungsbeschränkung ablehnten, ermöglichte sie in Marx’ Augen die Mobilisierung großer Kapitalmengen für die neu entstehende Schwerindustrie und die chemische Industrie, indem sie das Risiko für die einzelnen Investoren senkte. Im Jahr
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