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2112 - Verschollen in Tradom

Titel: 2112 - Verschollen in Tradom
Autoren: Unbekannt
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Prächtigen, deren Bewohnern seine ganze Sorge galt. In den meisten Häusern der Millionenstadt brannte Licht. Die Dunkelheit war gerade erst angebrochen, der Abend war noch jung.
    Der Landesherr lächelte schwach. Er stellte sich immer wieder sehr gern vor, was jemand sehen würde, der gerade aus der Hauptstadt zu ihm heraufschaute.
    Er würde einen Gebirgszug inmitten des Häusermeers sehen, einen hundert Meter in die Höhe ragenden, natürlichen Monolithen, der mit altertümlichen Seilbahnen und einigen Hochstraßen, über die sämtlicher Gleiterverkehr gelenkt wurde, an die Stadt angebunden war. Und darauf eine Zitadelle aus braunem Sandstein, mit Türmen aus einem Material, das wie weißer Marmor aussah.
    Ikanema schaute nach Osten. Nicht weit entfernt vom Tributkastell glomm auf einer riesigen, 450 Meter in den Himmel ragenden, güldenen Säule das Auge Anguelas. Der Anblick der dunkelroten, schwach leuchtenden Mikrosonne von achtzig Metern Durchmesser erfüllte ihn normalerweise mit Ausgeglichenheit und innerem Frieden, doch nicht an diesem Tag.
    Ikanema seufzte leise. „Vergrößerungsfeld", sagte er.
    Normalerweise zoomten die Vergrößerungsfelder automatisch die Ausschnitte der Umgebung heran, die der Landesherr anvisierte, doch Anguelas Auge bildete die Ausnahme. Das Auge war heilig, und Ikanema legte Wert darauf, es in seiner Ganzheit zu betrachten. Es badete ganz Barlofft in seinem gütigen Licht.
    „Anguela, du alles beschützende Macht", begann Ikanema die Litanei, die im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer größere Bedeutung für ihn gewonnen hatte, „die du über Tradom und seine Völker wachst, die du alles siehst und für die Lebewesen in deinen Galaxien sorgst... in Tradom und Terelanya und Terenga und Irsatur ..."
    Wie ich für die auf Pombar, dachte er und tadelte sich sofort für seine Blasphemie.
    Wie konnte er es wagen, sich auch nur ansatzweise mit Anguela zu vergleichen? Und es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er ganz anders gedacht...
    Eines Tages, wenn meine Zeit gekommen ist, wird meine Seele in das Unendliche Nichts hinter Anguelas Auge eingehen, dachte er. Oder vielleicht sogar in Anguela selbst. Aber das waren nur Spitzfindigkeiten. Unterschiedliche Begriffe unterschiedlicher Völker, die ein und dasselbe bedeuteten.
    Ikanema richtete den Blick auf die Säule, und das Vergrößerungsfeld zoomte sie heran. Sie durchmaß fünfzig Meter und war von oben bis unten mit kleinteiligen Ornamenten bedeckt.
    Der Landesherr hatte schon oft versucht, diesen stilisierten Verzierungen einen Sinn zu entnehmen, doch es war ihm noch nie gelungen.
    Wer hatte sie auf der Säule angebracht? Was sollten sie ausdrücken? Manchmal argwöhnte Ikanema, dass die Ornamente nur vom Glauben ablenken, den Blick vom Großen, eigentlich Wichtigen, zum Kleinen, Unbedeutenden richten sollten.
    „Anguela, steh mir bei", flüsterte er. „Ich brauche deine Hilfe jetzt. Ich werde sie belügen müssen.
    Zumindest darf ich ihnen nicht die ganze Wahrheit sagen. Aber wie kann ich das? Sie sind mein eigen Fleisch und Blut."
    Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Unmenge Verzierungen ihm etwas offenbarten, ihm irgendeinen Rat gaben, und sie taten es auch nicht.
    Das ganze Leben besteht nur aus Verlust, dachte er. Einem Verlust nach dem anderen. Pombaren, die wir lieben ...irgendwann sterben sie und lassen dich allein zurück. Und nicht nur Pombaren ...
    Er dachte an Ascarde und Tratto und Pirguso und an all die anderen, die ihn ein Stück seines Weges begleitet hatten ... und die er verloren hatte.
    Manchmal wünschte er sich, er wäre statt ihrer gestorben. Nur, damit er das Gefühl des Verlusts nicht mehr ertragen musste. Den Schmerz. Die Trauer. Lieber ging er, und die anderen mochten allein zurückbleiben und um ihn trauern. Falls sie es denn taten.
    Er riss sich zusammen. Der Abend war noch jung, und er hatte noch einiges zu regeln.
    Ich werde sie belügen müssen, dachte er erneut.
    Ikanemas Blick glitt nach unten, und ein Vergrößerungsfeld erfasste die dreißig Meter hohe, goldene Standarte vor der Säule und dann die Fahne, die daran wehte, das Quadrat vor der gelben, vielzackigen Sonne auf weißem Grund, den achtzackigen Stern im Inneren des Rechtecks, das von einem Schwert mit gerader, zweischneidiger Klinge und einem Smaragdknauf durchstoßen wurde.
    Dem Schwert der Inquisition.
    Der Inquisition der Vernunft.
    Dem Schwert auf der Fahne des Reiches Tradom, die auf jeder Welt des Reiches wehte, genau, wie
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