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Spion Für Deutschland

Spion Für Deutschland

Titel: Spion Für Deutschland
Autoren: Will Berthold
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Wil Berthold
    Spion für Deutschland
    Roman nach
    Tatsachen

    Ich bin fünfundvierzig Jahre, sieben Monate und sechs Tage alt.
    Ich habe 424 Dollar und 24 Cent in der Tasche.
    Ich bin seit sechs Tagen frei. Entlassen aus dem Gefängnis, ausgewiesen aus den USA. Auf Parole. Ich schulde den Vereinigten Staaten von Amerika noch über neunzehn Jahre Haft. Für die amerikanischen Behörden bin ich ein Spion —
    für die deutschen ein Spätheimkehrer.
    Eigentlich müßte ich seit neun Jahren und elf Tagen tot sein.
    Ich gehe immer erst an Deck, wenn es finster ist. Ich weiß nicht mehr, wie man mit den Leuten spricht. Ich muß mich erst wieder an die Welt gewöhnen. An die Zeit. An die Luft. An das Lachen.
    Ich habe dieses Schiff, die >Italia<, in Handschellen betreten. Ein riesiger Neger hat mich an Bord gebracht. Durch den Aufgang für Bagage. Er sperrte mich in das Kinderzimmer, zählte gleichgültig mein Geld nach, steckte mir die Papiere in die Tasche und sperrte die stählernen Fesseln auf, als die Schiffssirene zum zweitenmal heulte. Ich sollte nicht mit den amerikanischen Presseleuten in Verbindung kommen. Ich wol te das auch gar nicht, aber wer glaubt schon einem Mann, der aus der Bundesstrafanstalt Atlanta im Staate Georgia kommt?
    Die Maschinen des 22.000 Tonnen-Passagierschiffes vibrierten leise. Der baumlange farbige Beamte der Einwanderungsbehörde stand an der Wand, genau zwischen den bunten Fresken von Schneewittchen und den sieben
    Zwergen; er tippte sich mit dem ausgestreckten Zeigefinger an die Stirn und sagte: »Okay.« Gemächlich schlenderte er von Bord. Sein Dienst war zu Ende.
    Mein Leben begann.
    Ich wartete eine Stunde lang im Kinderzimmer. Dann kam ein Steward und wies mir meine Kabine an. Ich war frei und al ein. In den langen, trostlosen Jahren der Haft wurde ich unsicher. Ich zwang mich mit Gewalt, an die Bar zu gehen.
    Ich bestellte einen Whisky und bekam ihn. Wie bil ig ist ein Whisky, wenn man frei ist! Der Barkeeper lächelte. Die Leute in meiner Nähe verhehlten ihre Neugierde nicht. Sie beschäftigten sich mit meiner Geschichte. Das Gerücht ist die schnel ste, die billigste und die oberflächlichste Zeitung dieser Welt.
    Neben mir an der Bar saß eine Frau. Ich weiß nicht, wie sie aussah. Ich hatte mich daran gewöhnt, keine Frau mehr zu sehen. Sie sprach mit mir. Ich verstand kein Wort. Ich war viel zu aufgeregt. Ich hätte nie von mir aus gewagt, mit einer Frau eine Unterhaltung zu beginnen. Frauen sind gestorben, wenn man in einer Zelle lebt.
    Wir gingen zusammen an Deck. Die >Italia< war jetzt auf hoher See. Eine leichte Brise kam auf. Die Wolken zogen langsam ab und gaben den Blick auf die Sterne frei. Im Mondlicht schil erte der Schaum kleiner Wel en. Die Schiffsmaschinen arbeiteten fast lautlos. Der Wind spielte mit den Haaren meiner Begleiterin. Jetzt, da wir im Finstern standen, wagte ich es zum erstenmal, sie anzusehen.
    Sie sah gut aus.
    Ich stand mit einer Frau an der Reling! Ich sah die Sterne! Es wehte frischer Wind! Es war auf einmal al es anders — die Gedanken, die Bilder, die Ängste waren wie weggewischt. Für Minuten, für Stunden vergaß ich das Unvergeßliche: wie der Henker Maß an mir genommen hatte. Ich sah das Gesicht des Richters nicht mehr, als er mit halblauter Stimme verlas: »Death by hanging.« Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wie meine beiden Verteidiger, die ihr Bestes getan hatten, mir wortlos und betreten die Hand schüttelten und sich dann schnel abwandten. Ich wußte nicht mehr, daß ich der Agent Nr. 146 war, der sechsundvierzig Tage lang mit dem U-Boot 1230 gefahren war, der
    Wasserbomben und Fliegerangriffe überstanden hatte und in der Frenchman-Bai von Nordamerika landete, um den fantastischsten Auftrag auszuführen, den der Krieg zu vergeben hatte.
    »Sie sehen krank aus«, sagte meine Begleiterin.
    »Ich bin es auch«, erwiderte ich.

    »Ist es ernsthaft?«
    »Ich hoffe nein.«
    »Ich habe gleich gemerkt, daß etwas mit Ihnen los ist«, fuhr sie fort. »Ich glaube, daß Sie sehr einsam sind.«
    »Ja«, entgegnete ich.
    Wir gingen an die Bar zurück. Meine Begleiterin trug ein rotes Cocktailkleid und hatte ein Nerzkollier um ihre Schultern gelegt. Sie sah frisch, jung und reich aus. Sie lachte. Es ist schön, wenn Frauen lachen. Es ist gut, wenn Frauen jung, schön und reich sind. Am Abend dieses Tages, dessen Morgen ich noch im Untersuchungsgefängnis von New York in der Gesellschaft von Dieben, Mördern und Zuhältern verlebt hatte,
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