138 - Die Pestburg
Sofort!"
„Nein", sagte Ludomil entschieden. „Wir verlassen dich nicht."
„Ihr seid verdammte Narren. Keiner von euch ahnt, in welch schrecklicher Gefahr ihr schwebt. Meine Nähe bedeutet euren Untergang."
Sie redete wirr, wahrscheinlich war ihr das Erlebnis mit der lynchwütigen Meute doch tiefer gegangen, denn offensichtlich stand sie unter Schockeinwirkung.
„Lege dich nieder Bethela", sagte Ludomil sanft. „Morgen sieht alles ganz anders aus."
„Nein, es ändert sich nichts. Meine Stunden sind gezählt. Ich hoffe, daß ihr mich nicht vergessen werdet. Ich wollte immer nur das Beste für euch, doch ich habe viele Fehler begangen.
Der größte war, daß ich mich gegen den…"
„Sprich weiter", bat ich.
„Ich habe schon zuviel verraten", sagte sie fast unhörbar. „Ich fordere euch nochmals auf, flieht noch diese Nacht!"
„Ich verlasse dich nicht", sagte ich.
Auch Ludomil und Janko bekräftigten ihren Entschluß, nicht von ihrer Seite zu weichen.
„Eure Treue ehrt mich", sagte Bethela. „Aber ich fürchte, daß ich euch nicht schützen kann."
Im Morgengrauen erfolgte der Aufbruch. Meine Freunde und ich hatten nicht schlafen können. Bei Tageslicht bot Bethela einen noch erschreckenderen Anblick. Ihr Haar war während der Nacht vollständig ergraut, das früher so hübsche Gesicht sah nun wie ein vertrockneter Apfel aus, und die dunklen Augen waren glanzlos und blutunterlaufen.
Ich hockte neben Ludomil auf dem Wagen, während Bethela und Janko im Wageninnern blieben. Ludomil hatte sich ein paar Minuten mit der Zigeunerin unterhalten, doch auf meine Fragen schwieg er verbissen.
So wie in den vergangenen Tagen war es schon am Morgen unerträglich heiß. Der gewaltige Troß bewegte sich wie eine riesige Schnecke. Das Tal war so breit, daß bequem fünf Wagen nebeneinander fahren konnten.
Die Verstärkung war unterwegs, sie mußte im Lauf des Tages zu Tillys Armee stoßen. Wallensteins Truppe wollte dem Dänenkönig den Weg absperren und ihn in eine Falle locken.
Nach einer halben Stunde bemerkte ich, daß Ludomil immer weiter zurückfiel. Etwa fünfzig Wagen hatten uns bereits überholt.
Zu meiner größten Überraschung belästigte uns niemand, es schien geradezu, als würden uns die anderen ignorieren.
Wieder fuhren zwei Wagen an uns vorbei. Wir befanden uns nun fast am Ende des Zuges.
„Sind noch Wagen hinter uns, Gabor?"
Ich erhob mich und blickte zurück.
„Fünf Marketenderwagen", sagte ich und setzte mich nieder. „Willst du fliehen, Ludomil?"
Er nickte mit zusammengepreßten Lippen und zügelte die Pferde. Wieder schob sich ein Wagen an uns vorbei.
„Wohin willst du fahren, Ludomil?"
„In Richtung Seesen", antwortete er.
„Hat sich Bethela etwas beruhigt?"
„Nein, aber sie ist zur Flucht entschlossen. Wir werden uns ein paar Tage im Wald verstecken."
Mir sollte es recht sein. Bei Tillys Truppe hatte ich mich noch nie wohl gefühlt. Noch immer gingen mir Bethelas gestrige Worte nicht aus dem Sinn. Und die erschreckende Veränderung, die mit ihrem Körper vorgegangen war, konnte ich mir nicht erklären. Es war doch unmöglich, daß ein Mensch innerhalb weniger Stunden um zwanzig Jahre altern konnte.
Wir lagen nun am Ende des Trosses. Eine gewaltige Staubwolke hüllte uns ein.
Nach etwa fünfhundert Schritten entdeckten wir ein kleines Seitental, in das Ludomil einbog. Er trieb die Pferde an, die ihm diesmal willig gehorchten.
„Das hätten wir geschafft", sagte er zufrieden. „Bis sie unser Verschwinden bemerkt haben, ist es zu spät. Die Truppen sind zu sehr mit dem Dänenkönig beschäftigt, um sich um uns zu kümmern. Die Flucht ist leichter geglückt, als ich es zu hoffen wagte."
Das Tal wurde breiter, zu beiden Seiten erstreckten sich die endlosen Wälder. Buntspechte, Kleiber und Rotkehlchen schreckten wir auf.
Die Luft flimmerte vor Hitze. Die Pferde hielten das scharfe Tempo fast zwanzig Minuten durch, dann wurden sie langsamer. Ihre Leiber waren schweißbedeckt und dampften, aus den Mäulern tropfte Schaum.
Ludomil ließ sie ein paar Minuten im Schritt fallen, dann jagte er sie weiter. Erst als die Sonne fast genau über uns stand, legten wir eine Rast ein.
Bethela verließ den Wagen nicht. Janko lief zu einem Bach und holte Wasser. Einen Becher brachte er der Zigeunerin, dann gesellte er sich zu uns.
Auch Jankos Aussehen wollte mir nicht gefallen. Er war unnatürlich bleich und reagierte auf keine meiner Fragen. Schweigend verzehrten wir unser
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