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135 - In der Falle

135 - In der Falle

Titel: 135 - In der Falle
Autoren: Jo Zybell
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am Arm fest und zerrte sie mit sich zum Streifenwagen.
    »Lass mich!«, rief sie. »Lass los! Ich brauch doch nur was zum Anziehen…!«
    ***
    Irgendwo am Spreeufer, Anfang Dezember 2520
    Sie sprangen aus der Höhle, spitzten die schwarzen Ohren, reckten ihre Schnauzen in die Nachtluft. Ihre Schnurrhaare zitterten. Ein Schrei hatte sie geweckt.
    Regen klatschte auf den felsigen Boden der Lichtung, trommelte ins kahle Geäst der Bäume am Waldhang, und unten am Flussufer hörte man das Wasser rauschen. Niemand schrie auf der Lichtung, im Wald oder unten am Fluss. Und doch war da ein Schrei – einer, den kein Ohr hören, den nur das Herz wahrnehmen konnte; das Herz und jener unerklärlicher Sinn, der mehr zu erspüren vermochte als Auge und Ohr und Nase.
    Die erste lief den felsigen Abhang in die Lichtung hinunter und in den Wald hinein. Die anderen drei folgten.
    Sie wussten nicht, dass ihre zweibeinige, weißhäutige Schwester im Sterben lag, und sie wussten es doch. Ihr stummer Schrei zitterte ja in ihren Herzen.
    Einst waren sie alle von derselben Mutter gesäugt worden: neun kleine schwarze Fellknäuel und ein winziges pelzloses Wesen. Auf zwei Beinen ging ihre Menschenschwester viele Winter später ihre eigenen Wege.
    Dennoch blieb sie gegenwärtig. Immer. Das unsichtbare Band zwischen ihren Herzen zerriss nicht. Die dunkle Kraft, die ihr Leben auf immer miteinander verband, versiegte nie.
    Und wann immer jene dunkle Kraft ihre Schwester aus dem Abgrund des Todes zog, riss es statt ihrer einen von ihnen hinein. Und so waren in jener Nacht nur noch vier von ihnen am Leben. Vier, die den Schrei vernahmen und den Waldhang hinunter liefen.
    Sie erreichten das nächtliche Ufer. Die erste von ihnen lauschte in die Dunkelheit. Miouu, machte sie. Miouu, Miouu, antworteten die anderen. Den Fluss entlang wanderten sie nach Osten.
    ***
    Terrbizzer See, Anfang Dezember 2520
    Am Abend prasselte der Regen auf das Dach des Baumhauses. Canada winselte und leckte der Fiebernden den Schweiß von der Stirn.
    »Miouu? Du musst trinken, Miouu.« Rudgaar, der Hundemeister, schob seinen Arm unter den Körper der jungen Frau. Sie starrte in die aus Weiden geflochtene Hüttendecke, wo schwarzen Tüchern gleich die zahmen Bateras (mutierte Fledermäuse) des Riesen hingen. Sie bewegte die Lippen, flüsterte Worte, die weder Rudgaar noch Watzlowerst verstehen konnten.
    »Sie ist schon halb in der anderen Welt«, sagte der Riese, »schon halb gestorben…« Tränen erstickten seine Stimme.
    »Sie darf nicht sterben«, flüsterte Rudgaar. Die Trauer presste sein Herz zusammen. Er hob Miouu hoch und flößte ihr das Wasser mit dem Weidenrindenpulver ein.
    Ihm selbst hatten die feindlichen Pfeile fast die Wirbelsäule durchbohrt. Der Hundemeister hatte Glück gehabt. So viele jedoch waren gestorben in der Schlacht am Schönen Feld! So viele in den Ruinen Luukwalds! Fast die gesamte verbündete Sippe des Waldmannes Brunor hatte der Scheußliche abgeschlachtet; darunter Rudgaars ganze Familie. In seiner Brust herrschte Leere, seine Tränenquellen waren versiegt.
    Viel zu viele waren schon gestorben. Nicht auch noch Miouu.
    Ihr Atem rasselte. Es hörte sich an, als sei ihre Brust voller Wasser. Sie hatte lange gekämpft, vier Wochen lang. Schon wähnten sie die junge Frau auf dem Weg der Besserung, da hatte sich vor sechs Tagen die Wunde am Oberschenkel aufs Neue entzündet. Miouu bekam Fieber, und dazu gesellte sich eine Lungenentzündung.
    Der Regen ließ nach. Watzlowersts Bateras flatterten aus der Baumhütte, um zu jagen. Erst eine Stunde nach Mitternacht hörte der Regen ganz auf. Nur einzelne Tropfen aus der Eichenkrone prasselten noch auf das Baumhausdach. In den letzten Nachtstunden schließlich zerriss die Wolkendecke endgültig und der Mond ging auf. Vollmond. Der Morgen graute; bald zeigte sich im Osten der Rand der Sonnenscheibe hinter den Baumwipfeln. Die Bateras kehrten zurück.
    Um diese Zeit starb Miouu.
    Canada begann zu heulen. Unter dem Baumhaus stimmte Greif mit ein. Rudgaar saß schweigend und starr. Watzlowerst legte seinen großen Schädel auf Miouus Brust und weinte immer weiter, wie ein Kind. Rudgaar packte Canada, hielt ihm die Schnauze zu und zischte einen Befehl ins Unterholz hinunter. Sein alter Rüde verstummte sofort. Canada winselte und trollte sich. Neben der Toten und dem Riesen streckte er sich aus.
    »Sie ist so schön…«, schluchzte Watzlowerst, während er der ehemaligen Leibwächterin der Königin die
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