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135 - In der Falle

135 - In der Falle

Titel: 135 - In der Falle
Autoren: Jo Zybell
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Augen zudrückte. »Ich hab sie so gern gehabt… Wir sollten ihren Körper im See versenken, sonst zerreißen ihn die Tiere des Waldes. Wäre das nicht schade?«
    »Nicht im See«, antwortete Rudgaar. »Wir legen sie an einer geheiligten Stelle des Waldes ab. Vielleicht wird sie doch noch einmal leben.«
    »Was redest du da, mein Bruder?« Der Riese runzelte seine grindige Stirn. »Verwirrt dir die Trauer den Verstand?«
    »Du weißt ja nichts.« Der Hundemeister begann den zierlichen Leib der jungen Frau in ein Fell zu schnüren. »Es gibt ein Geheimnis um die Leibwächterin der Königin.«
    »Was für ein Geheimnis?« Watzlowerst wischte sich die Tränen aus den Augen.
    »Wenn ich’s wüsste, wäre es kein Geheimnis, oder?«
    Der Riese stellte keine weiteren Fragen. Rudgaar war im Gegensatz zu ihm ein kluger Mann. Er hatte ihn einst aus einem tödlichen Netz befreit, in das er durch seine Dummheit gestolpert war.
    An Seilen ließen sie Miouus Leichnam aus dem Baumhaus ins Unterholz hinab. In einem Kanu paddelten sie über den See und wanderten am gegenüberlegenden Ufer etwa eine halbe Stunde, bis sie zu der Erdhöhle gelangten, wo Watzlowerst einen seiner Frekkeuscher untergebracht hatte.
    Er hielt seine drei Tiere an verschiedenen Stellen, um nicht alle auf einmal zu verlieren, falls die Pottsdamer oder Beelinner einen Unterschlupf entdeckten. Und das Reitinsekt in Rudgaars Seehütte war zurzeit nicht einsatzfähig, weil es seine frischgeschlüpfte Brut hegte.
    Sie sattelten die riesige Heuschrecke, banden ihr Miouus Leiche auf den langen Rücken und stiegen in die Sättel.
    Die meiste Zeit ließen sie den Frekkeuscher durch den Wald springen. Nur wenn dieser zu dicht wurde, erhob sich das Tier über die Baumwipfel und schwirrte über die unwegsamen Stellen hinweg.
    »Warum bringst du sie so weit nach Norden?«, wollte Watzlowerst wissen.
    »Ich weiß es selbst nicht genau, aber ich hörte, dass Miouus Geheimnis in der Nähe von Flüssen am besten wirken soll.«
    In strömendem Regen erreichten sie am Nachmittag den Fluss, den Watzlowerst und die Waldleute Die Schöne nannten.
    In Pottsdam und Beelinn hieß er Spree. Nur wenig weiter als ein Speerwurf von seinem Ufer entfernt erhob sich knapp brusthoch ein fast quadratisch aufgeschichteter Steinhaufen aus dem Unterholz: das Grabmal eines seit vielen hundert Wintern dort begrabenen Göttersprechers. Auf ihm bettete Rudgaar die tote Miouu, nachdem er sie aus den Fellen gewickelt hatte.
    Es gab kein Testament, das vorschrieb, die Leibwächterin auf diese Weise zu bestatten, auch hatte sie selbst das niemals verlangt. Einzig das Geheimnis, das sie Zeit ihres Lebens umgeben und sie in den Augen des Volkes in die Nähe einer Göttersprecherin gerückt hatte, veranlasste Rudgaar, ihre Leiche an diesem Ort göttlicher Kraft abzulegen.
    »Möge Wudan dich an seiner Festtafel Platz nehmen lassen«, murmelten sie. »Möge deiner Seele Freude und Ruhm in seiner himmlischen Festung zuteil werden.«
    Gemeinsam entfernten sie sich vom Grabmal des Göttersprechers. Alle zwanzig Schritte blieb Watzlowerst stehen und blickte zurück. »Weißt du wirklich nicht mehr über ihr Geheimnis, Hundemeister?«
    »Nein.«
    »Auch nicht ein Zipfelchen?«, bettelte der Riese. »Nur ein klitzekleines Wörtchen!«
    »Es heißt, sie habe neun Leben«, sagte Rudgaar schließlich.
    »Frag mich nicht warum – ich weiß es nicht.«
    »Und wie viele Leben hat sie schon verbraucht?«
    »Lass mich doch! Ich weiß es nicht!«
    Als sie zu der Stelle gelangten, wo sie den Frekkeuscher versteckt hatten, stieg der Riese nicht zu Rudgaar auf das Reitinsekt. »Ich bleib hier«, sagte er. »Ich will Miouus Körper bewachen. Nicht dass jemand ihn raubt oder wilde Tiere ihn verstümmeln.«
    Rudgaar versuchte erst gar nicht, den Gefährten umzustimmen. Er hatte ja in den letzten vier Wochen erlebt, wie sehr Watzlowersts Herz an der königlichen Leibwächterin hing. »Das entscheidest du allein. Ich muss zurück zu den Doyzdoggern. Jeden Tag kann Bulldogg mit neuen Nachrichten aus den Ruinen von Beelinn zurückkehren.«
    Er ließ dem Riesen Waffen, Felle und Sehnen zurück.
    Danach trieb er das Tier ins Unterholz. Watzlowerst blickte ihm hinterher, bis Rudgaar und der Frekkeuscher mit den kahlen Büschen und den Baumstämmen verschwammen. Dann erst machte er kehrt und stapfte zum Grabmal des Göttersprechers zurück.
    ***
    Der Tag neigte sich rasch dem Ende zu. Wieder zogen dunkle Wolken über dem Wald auf.
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