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Der rostende Ruhm

Der rostende Ruhm

Titel: Der rostende Ruhm
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gabriele Orth wartete in der Redaktion des ›Wiener Morgengruß‹, bis das erste Exemplar der umgestellten Morgenausgabe zu ihr von einem Druckereiboten heraufgebracht wurde. Mit klopfendem Herzen las sie ihren Bericht – ihren ersten Bericht, der auf der Titelseite stand, mit ihrem Namen. ›Von unserer Sonderberichterstatterin Gabriele Orth.‹ Ganz deutlich stand es da, alle würden es lesen – auch jener Dr. Bergh, der plötzlich aus dem Grau der Anonymität aufgetaucht war, wie ein Komet über den wissenschaftlichen Himmel ziehend:
    »Kann die Menschheit bald aufatmen?
Wiener Arzt erhält höchste Auszeichnung
für seine Krebsforschungen.«
    Gabriele Orth starrte hinaus in die stille Nacht. Wie mag es jenem Dr. Bergh jetzt zumute sein, dachte sie einen Augenblick. Heute noch unbekannt – und morgen kennt ihn die ganze Welt! Es müßte ihm gehen wie mir, nur viel, viel herrlicher und herzerdrückender. Ich habe meinen ersten Bericht auf der Titelseite – er steht am Anfang seines Erfolges als Forscher gegen den Mörder Krebs …
    Sie dachte an ihre Mutter. Vor drei Jahren starb sie. Es war ein schreckliches Sterben. Als es hoffnungslos war und keine Operation mehr half, keine Radiumbestrahlung, keine Kobaltbomben, da sagte es der Arzt und hob hilflos beide Arme. »Krebs … Die Metastasen sind im ganzen Körper: in der Leber, in der Lunge, im Dickdarm. Es gibt keine Wunder«, sagte damals der Arzt.
    Und jetzt trat aus dem Dunkel ein Dr. Martin Bergh heraus und sagte: »Es gibt einen Weg …«
    »Welch ein Mann!« sagte Gabriele Orth laut. Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme und trat vom Fenster zurück ins Zimmer.
    »Welch ein Mann!« sagte sie noch einmal.
    In der Tür stand die Haushälterin Erna und hatte Tränen in den Augen. Sie drehte an einem Zipfel ihrer blauen Schürze und schnupfte nach jedem dritten Atemzug tief auf.
    »Nanu? Was haben wir denn, Erna? Erkältet?« fragte Dr. Martin Bergh. Er steckte den Autoschlüssel in die Manteltasche und fuhr der ihn anspringenden Boxerhündin Afra über den viereckigen Kopf.
    »Ich – ich – ich habe alles gehört, Herr Doktor. Im Radio!« Erna schluchzte auf und wischte sich über die Augen. »So ein Erfolg nach all den Jahren! Ich gratuliere auch schön, Herr Doktor!« Sie reichte ihre Hand hin. Bergh nahm ihre bebenden Finger und streichelte sie mit der anderen Hand.
    »Es ist ja nur ein Anfang, Erna.« Er wehrte die hochspringende Afra ab und schnupperte, als sei er selbst die Boxerhündin. »Sie haben Palatschinken gemacht. Und einen Kaffee … Ich riech's, Erna. Und wenn Sie mir jetzt den Weg in das Haus freigeben, setze ich mich sofort an den Tisch. Ich habe einen Mordsappetit.«
    »Aber ja, ja, Herr Doktor …«
    Dr. Bergh schloß die Tür. Als er den Mantel auszog, sah er in den Spiegel neben der Garderobe.
    Ein schmaler Kopf mit braunen, eng anliegenden Haaren, die an den Schläfen weiß wurden. Vor den blauen Augen eine Brille in einem dünnen, goldenen Gestell. Ein schmaler Mund, ein rundes Kinn und kleine Falten um die Augen und die Mundwinkel, hineingeschrieben von den schlaflosen Nächten hinter den Mikroskopen und an dem marmornen Seziertisch im Labor.
    »Der Kaffee wird kalt, Herr Doktor!« hörte er Erna aus dem Eßzimmer rufen. Es war wie ein weiter, verwehender Ruf. Er erreichte ihn kaum.
    Die Welt wird sich nicht ändern, dachte er, als er sein Gesicht im Spiegel sah. Man hat mir eine Medaille an den Rockrevers geheftet. Man hat einige Reden gehalten. Ich habe hundert Hände geschüttelt und »Danke, danke, Herr Kollege – schönen Dank, küß die Hand, Frau Kollegin!« gesagt. Ich habe sogar Prof. Porenska die Hand gedrückt, der bei Bekanntwerden meines Vortragsthemas ungeniert sagte: »Das sind Hirngespinste eines jungen Eiferers!« Jeder wußte, daß er es sagte, weil er selbst mit dem Stoffwechselhaushalt der Zelle beschäftigt war und nach einem zystatischen Mittel suchte. Ich habe den Neid meiner Kollegen in ihren Augen gesehen, ihre Feindschaft, ihren passiven Widerstand, auch wenn ihre Münder mir gratulierten und Schmeicheleien sagten. Ich habe in das Dogma der Schulmedizin hineingestoßen! Ich habe es gewagt. Und deshalb wird sich nichts ändern, wird alles beim alten bleiben. Eine Medaille als Ehrung – aber dann Schweigen. Denn Schweigen tötet mehr als Gegenargumente …
    Als er – ein junger Arzt und Urologe – mit seinen Forschungen begann, wurde er belächelt. Zellpathologen schüttelten die Köpfe, sein
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