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134 - Geister im Grand Hotel

134 - Geister im Grand Hotel

Titel: 134 - Geister im Grand Hotel
Autoren: Larry Brent
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Auge ab. In diesen Bildern sah ich
Anais als kleines Mädchen, wie sie auf einem mit Heu beladenen Wagen
herumturnte.
    Auf dem Bock neben dem Lenker des
landwirtschaftlichen Gefährts saßen ein Mann und ein Junge. Anais mochte neun
oder zehn Jahre alt sein. Heimlich kroch sie nach vorn. Ich wußte mit einem
Mal, daß der Junge neben dem Wagenlenker ihr jüngerer Bruder war. Fünf oder
sechs Jahre alt. Er saß neben dem Vater.
    Ich begriff auch die Szene, die sich vor
meinem geistigen Auge abspielte.
    Die kleine Anais heckte einen Streich aus.
Sie hatte die Absicht, ihren Vater oder ihren Bruder zu erschrecken.
    Vor den hochbeladenen Wagen waren zwei
kräftige Ackergäule gespannt. Der Weg war breit, trocken und holprig.
    Ich sah sogar den blauen, wolkenlosen Himmel
über mir, die Ährenfelder, die sich zu beiden Seiten des Feldweges ausdehnten
und in der Ferne am Horizont mit dem Himmel eins zu werden schienen.
    Der Junge auf dem Bock turnte ebenfalls herum
und wurde von seinem Vater mehrmals ermahnt, still zu sitzen.
    Aber davon schien er nicht viel zu halten.
    Er stand auf, hüpfte auf der primitiven
Holzbank herum und schickte sich an, in das Heu zu kriechen, um sich dort zu
verstecken.
    Genau dies war der Moment, wo der Anfang des
Dramas lag.
    Anais war schon ziemlich weit vorn, tauchte
auf und streckte die Arme nach oben. Sie gab gleichzeitig einen grauenvoll sich
anhörenden Laut von sich und wollte im kindlichen Spiel ihren Bruder
erschrecken.
    Aus dem kindlichen Spiel wurde ein Drama!
    Anais’ Bruder war durch das plötzliche,
unerwartete Auftauchen so erschrocken, daß er zusammenzuckte und zurückwich.
Dabei verlor er die Balance, denn der Heuwagen fuhr im selben Moment durch ein
Schlagloch, und durch das klapprige Gefährt ging ein Ruck. Auch dies trug zu
dem Unfall bei, der blitzschnell über die Bühne ging.
    Der Junge rutschte ab. Sein Vater wollte noch
nach ihm greifen. Doch es war schon zu spät. Mit einem Schrei verschwand Anais’
Bruder zwischen der Deichsel.
    Der Vater greift in die Zügel, ruft den
Pferden einen Befehl zu und will sie zum Stehen bringen.
    Die Tiere reagieren erschreckt und brechen
aus. Anais’ Bruder wird von den Rädern überrollt. Der Heuwagen gerät vom Weg in
eine tiefe Mulde, die neben diesem entlangläuft. Und hier kippt er um.
    Krachen, Bersten und Schreie erfüllen die
Luft. Anais wird vom Wagen geschleudert. Das Heu fliegt zum großen Teil mit
ihr.
    Der Vater läuft zurück und hält wenige
Minuten später die übel zugerichtete Leiche seines einzigen Sohnes in den
Armen...«
    Seventus hatte sich so in Rage geredet, daß
er innerhalb seiner Erzählung die Zeitform änderte und berichtete, als würde er
das ganze Geschehen noch mal vor sich sehen.
    »Die Flut der Bilder war ungeheuerlich, und
schwach war die Ahnung, die in mir aufstieg. Was hatte ich da erlebt? Anais
hatte auch etwas bemerkt. Wo ich mir meinen Gedanken und Gefühlen wäre, fragte
sie mich. Ob ich mich nicht wohl fühlte? Ich verneinte, ließ sie los, und im
gleichen Augenblick waren die Bilder, die ich eben noch gesehen hatte, weg.
    Da mußte ich an André denken, an das, was er mir kurz vor seinem
Tod versprach.
    War das die Gabe, die mir durch die Kraft
eines Jenseitigen zufloß?
    Vorsichtig tastete ich mich vor, stellte
Anais Fragen und sagte ihr plötzlich auf den Kopf zu: Du hattest mal einen
Bruder, der starb durch einen Unfall, als er höchstens sechs oder sieben Jahre
alt war, stimmt’s?
    Ich bediente mich bewußt dieser Schocktherapie.
Nur so erfuhr ich, was ich wollte.
    Anais gab einen Schrei von sich, und starrte
mich an wie einen Geist. „Woher weißt du das alles ?« stieß ich hervor.
    „Ich habe es plötzlich gefühlt“, gestehe ich
ihr ehrlich. „Ich habe es in dem Moment gefühlt, als ich dich in den Armen
hielt .«
    Von dieser Stunde an wiederholte sich das
Geschehen immer dann, wenn ich jemand die Hand gab. Sofort stellten sich die
Bilder ein. Ich sehe Geschehnisse aus der fernen oder nahen Vergangenheit, die
diese Person und seine Familie speziell angehen und manchmal mischen sich auch
Bilder darunter, die zukünftige Ereignisse zeigen.
    Damit kennen Sie die Vorgeschichte, die mich
dazu brachte, mein Leben zu verändern und anders zu glauben als zuvor.
    André hatte recht mit allem, was er sagte. Er war
einer, der wiedergeboren wurde und in seinem zweiten Leben noch an hartnäckigen
Wunden aus seinem ersten zu leiden hatte. Er hatte Einblick in unsichtbare
Bereiche, deren
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