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13 - Wo kein Zeuge ist

13 - Wo kein Zeuge ist

Titel: 13 - Wo kein Zeuge ist
Autoren: Elizabeth George
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Barbara! Guck mal, was ich im Schrank gefunden habe!«
    Barbara richtete sich auf und schaute in die Richtung, aus der die glockenhelle Stimme kam. Die kleine Tochter ihres Nachbarn saß auf der verwitterten Holzbank vor der Erdgeschosswohnung des altehrwürdigen, zum Mehrfamilienhaus umgewandelten Gebäudes. Sie hatte die Schuhe ausgezogen und versuchte, sich in ein Paar Inlineskates zu kämpfen. Sie sahen ein paar Nummern zu groß aus, fand Barbara. Hadiyyah war erst acht Jahre alt, und die Skates waren eindeutig für einen Erwachsenen gedacht.
    »Die gehören Mummy«, klärte Hadiyyah sie auf, als habe sie Barbaras Gedanken gelesen. »Wie gesagt, ich hab sie im Schrank gefunden. Ich bin noch nie mit ihnen gefahren. Vermutlich sind sie mir zu groß, aber ich hab Küchenpapier reingestopft. Dad weiß nichts davon.«
    »Von dem Küchenpapier?«
    Hadiyyah kicherte. »Quatsch! Er weiß nicht, dass ich sie gefunden hab.«
    »Vielleicht will er nicht, dass du sie benutzt.«
    »Sie waren aber nicht versteckt. Nur weggeräumt. Bis Mummy wieder nach Hause kommt, nehme ich an. Sie ist in ...«
    »Kanada. Ich weiß.« Barbara nickte. »Also, sei schön vorsichtig mit den Dingern. Dein Dad wird nicht glücklich sein, wenn du fällst und dir den Kopf einschlägst. Hast du einen Helm oder so was?«
    Hadiyyah sah auf ihre Füße hinab - einer mit dem Inlineskate, einer nur mit der Socke bekleidet - und dachte darüber nach. »Brauche ich das?«
    »Vorsichtsmaßnahme«, erklärte Barbara. »Auch mit Rücksicht auf die Straßenkehrer. Es verhindert, dass das Gehirn der Inlineskater auf die Bürgersteige spritzt.«
    Hadiyyah verdrehte die Augen. »Ich weiß, dass du nur Spaß machst.«
    Barbara hob die Hand zum Schwur. »So wahr mir Gott helfe. Wo ist denn dein Dad überhaupt? Bist du heute allein?« Mit einem Fußtritt öffnete sie das Törchen zu dem gepflasterten Weg, der zum Haus führte, und überlegte, ob sie Taymullah Azhar noch einmal darauf ansprechen sollte, dass er seine Tochter öfter allein ließ. Auch wenn es stimmte, dass das nur selten vorkam, hatte sie ihm doch angeboten, dass sie gern bereit war, sich in ihrer Freizeit um Hadiyyah zu kümmern, wenn er an der Universität eine Sprechstunde abhalten oder die Arbeit im Labor überwachen musste. Hadiyyah war für eine Achtjährige erstaunlich selbstständig, aber letztlich war sie doch immer noch das: Eine Achtjährige, die naiver war als ihre Altersgenossinnen, zum Teil aufgrund einer Kultur, die sie von allem abschirmte, zum Teil aufgrund der Tatsache, dass ihre englische Mutter sie verlassen hatte und nun schon seit fast einem Jahr »in Kanada« war.
    »Er ist losgezogen, um mir eine Überraschung zu kaufen«, berichtete Hadiyyah sachlich. »Er denkt, ich weiß das nicht. Er denkt, ich denke, dass er nur was zu erledigen hat, aber ich weiß, was er in Wirklichkeit macht. Es ist, weil er traurig ist, und er meint, ich bin traurig, was nicht stimmt, aber er will, dass ich wieder fröhlich bin. Also hat er gesagt: ›Ich muss etwas erledigen, Kushi‹, und ich soll glauben, es hat nichts mit mir zu tun. Hast du deine Einkäufe gemacht? Kann ich dir helfen, Barbara?«
    »Es sind noch mehr Tüten im Auto. Wenn du sie holen willst ...«, antwortete Barbara.
    Hadiyyah glitt von der Bank und - einen Skate angezogen - humpelte zum Auto hinüber und holte die restlichen Tüten heraus. Barbara wartete an der Hausecke. Als Hadiyyah sich ihr hinkend anschloss, fragte sie: »Was ist denn der Anlass?«
    Hadiyyah folgte ihr zum Ende des Grundstücks, wo Barbaras Bungalow stand. Er glich eher einem um Vornehmheit bemühten Gartenhäuschen, war halb von einer Falschen Akazie verborgen und ließ grüne Farbflocken auf ein Blumenbeet rieseln, das dringend bepflanzt werden musste. »Hm?«, machte Hadiyyah. Aus der Nähe erkannte Barbara, dass sie den Kopfhörer eines Discman um den Hals trug. Das Gerät war am Bund ihrer Blue Jeans befestigt. Undefinierbare Klänge drangen blechern aus den Ohrstöpseln. Nur eine weibliche Stimme war auszumachen. Hadiyyah schien sie gar nicht zu bemerken.
    »Die Überraschung«, sagte Barbara und schloss ihre Haustür auf. »Du hast gesagt, dein Dad sei unterwegs, um eine Überraschung für dich zu besorgen.«
    »Ach, das.« Hadiyyah humpelte hinein und stellte die Tüten auf den Esstisch, wo die Post von mehreren Tagen sich mit vier Ausgaben des Evening Standard, einem Korb voll schmutziger Wäsche und einem leeren Vanillepuddingkarton vermischte. Das
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