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0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
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blieb.
    Erst jetzt schien dieser Zamorra die beiden Neuankömmlinge zu bemerken. Ohne von seinen Versuchen abzulassen, die sich windenden Holzstränge von der stöhnenden, hilflosen Nicole wegzuzerren, warf er Ben und Ellie einen Blick zu, der halb verwundert, halb hoffnungsvoll zu sein schien. »Nicht so?«, fragte er dann keuchend. »Wie meinen Sie das?«
    Er sprach akzentfrei. Fließendes Englisch. Und doch wusste Ben, dass es nicht seine Muttersprache war.
    Er wusste plötzlich einiges über diesen Mann und sein Leben.
    »Lassen Sie mich mal«, forderte Ben und stellte sich direkt neben Zamorra. Dann hob er die Hände in das Gewirr aus Ästen, schloss die Augen und lauschte .
    rechts links rechts oben achtung schneller
    Zuerst tat es unglaublich weh. Bis sich sein Geist den Bewegungen angepasst hatte, die sein besonderer Sinn ihm suggerierte, hatten bereits mehrere peitschende Hiebe seine ausgestreckten Arme in blutende Haufen aus Fleisch und Knochen verwandelt, doch Ben hielt durch. Er spürte, dass er mit jedem verstreichenden Sekundenbruchteil dem Ziel näher kam.
    zwei von unten links einer von weiter rechts dann oben achtung drei von vorn
    Es war bizarr und widersetzte sich jeder Logik. Je mehr sich Ben auf das absurde, grauenvolle Geschehen konzentrierte, desto sicherer vermochte er vorherzusagen, wie sich die Arme des Seeungeheuers Wand als nächstes verhalten würden. Er wusste es, weil er es erlauschte . Weil er eins wurde mit dem Geist seines Gegners - genauso wie er es bei der Foundation in Dead Man's Creek gelernt hatte.
    Als er endlich begriff, dass er sein Wissen in Taten umsetzte, war er schon fast fertig. Wie von selbst hatten seine Hände begonnen, die Äste abzuwehren. Nach und nach zogen sie sie von Nicoles geschundenem Leib weg, befreiten sie. Da Ben wusste, wie sie sich bewegen würden, wusste er auch, wie er ihnen zuvorkommen konnte, und das gab ihm den entscheidenden Vorteil in diesem ungleichen Wettstreit um das Leben der Frau.
    Zamorra unterstützte ihn nach Kräften, konnte im Prinzip aber wenig mehr tun, als staunend danebenzustehen und auf Bens Anweisungen zu reagieren.
    Dann war es vollbracht. Nicole Duval fiel, endlich ihrer schmerzenden Fesseln ledig, nach vorn und ihrem Gefährten in die offenen Arme, der sie prompt aus dem Einzugsbereich der Holztentakel zog. Keuchend und zitternd blieb sie in seiner Umklammerung liegen und ließ sich von ihm stützen, bis ihre eigene Kraft zurückkehrte. Ben lauschte , wie sich Dankbarkeit und unendlich große Erschöpfung in ihrem Geist verbanden.
    »Wie… wie haben Sie das gemacht?«, fragte Zamorra stockend. »Ich habe es versucht, aber…«
    »Sie haben nur sehen können, was geschah«, antwortete Ben und hielt sich die schmerzenden Arme. »Ich konnte es vorher sehen.«
    Zamorra schaute ihn aus großen Augen an, sagte aber nichts mehr. Er schien instinktiv zu wissen, wann er eine Grenze erreichte.
    »Nicole Duval«, sagte die Frau schließlich. »Danke.«
    »Ben Campbell. Das blonde Häufchen Elend da hinten an der Tür ist meine Schwester Ellie.«
    Aus den Augenwinkeln registrierte Ben, wie sich die Tentakel zurückbildeten. Wenige Sekunden später waren sie fort, und die Wand sah wieder ganz normal aus. Als hätten sie ihre Aufgabe erledigt , dachte er verblüfft.
    »Wo sind wir hier?«, fragte Nicole und löste sich langsam von ihrem Partner. »Was ist das für ein Haus?«
    »Wir wissen so wenig wie Sie«, antwortete Ben wahrheitsgemäß. »Auch wir gingen nur durch eine Tür und landeten hier.« Zufrieden merkte er, dass seine Wunden nur oberflächlicher Natur waren.
    Zamorras Gesicht nahm einen argwöhnischen Ausdruck an. »Woher wollen Sie wissen, was wir wissen?«, fragte er, und eine unverhohlene Herausforderung schwang in den Worten mit.
    »Ich weiß es eben. Ich weiß auch, dass Sie Ihr«
    amulett
    »magisches Wunderwerk verlassen hat und Sie sich deswegen nicht gegen den Angriff der Wand wehren konnten. Und jetzt fragen Sie sich, was mit ihm los ist. Sie vermuten, dieser Ort selbst sei schuld an seinem Versagen.«
    Verblüfft sah Nicole von einem zum anderen. »Das heißt, Sie… Sie lesen seine Gedanken?«
    »Seine. Ihre. Ellies.« Ben nickte. »Als ich Sie aus dem Ästegewirr befreite, Miss Duval, hörte ich gewissermaßen die Stimme der Wand in meinen Gedanken.«
    Obwohl es in dem Raum fast stockfinster war, sah Ben das Staunen in ihrem Gesicht - und die Skepsis in Zamorras. »Ein Telepath«, murmelte der Professor.
    Ben
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