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0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
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von ihm Besitz ergriffen hatte. Und er wusste doch, dass er all dies nicht wirklich tat. Nicht mehr tun konnte . Wie Nici vor ihm, war auch er zur Reglosigkeit verdammt.
    Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, dann waren das Château und der panisch wirkende Gryf vor seinen Augen verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Der Schmerz verging. Und an seine Stelle trat das Grauen!
    »Zamorr-«
    Der Ruf war kurz und endete in einem schmerzerfüllten Keuchen. Und er war hinter ihm erklungen. Zamorra riss seinen Blick von der Wand ab, die so bizarr plötzlich vor ihm erschienen war, und wirbelte herum.
    Die hintere Wand der staubigen kleinen Kammer, in der er materialisiert zu haben schien, sah im Prinzip genauso aus wie alle anderen. Sie bestand aus weiß verputztem Stein, durch den sich dicke, breite Holzbahnen schoben. Fast schon Fachwerk , erkannte der Meister des Übersinnlichen, aber nicht ganz. Eher…
    Er kam nicht dazu, den Gedanken zu beenden. Denn nun fiel sein Blick auf die Quelle des Schreis.
    Es war Nicole. Zumindest noch ein bisschen.
    Die langjährige Begleiterin des Dämonenjägers wirkte wie ein aufgespießter Schmetterling. Sämtliche Gliedmaßen von sich gestreckt, hing sie etwa dreißig Zentimeter über den Bodendielen des ansonsten leeren Raumes. Sie hing rücklings an der Wand, war flach gegen sie gestreckt und schien kaum mehr einen Muskel rühren zu können. Dicke Äste drangen aus den hölzernen Wandstreben und wanden sich um ihren Leib wie Tentakel eines Meeresungetüms. Sie fesselten ihre Beine, hielten ihre Arme weit vom Körper gestreckt und hatten sich sogar um Hals und Mund gelegt, sodass sie nicht länger in der Lage war, zu sprechen oder um Hilfe zu rufen. Dabei schoben sie sie Millimeter für Millimeter weiter zurück, gegen - nein: in - die Wand! In Nicoles Augen - so ziemlich das Einzige von ihr, was noch unbedeckt war - flackerte die Angst.
    Zamorra zögerte nicht. Erklärungs- und Orientierungsversuche mussten warten. Jetzt galt es, zu handeln. Seine Hand glitt in die Tasche seines weißen Jacketts und umschloss den Dhyarra, den er zufällig noch immer darin hatte. Doch das magische Artefakt reagierte so, wie er es insgeheim befürchtet hatte. So nämlich, wie auch Merlins Stern reagierte.
    Gar nicht.
    So sehr er sich auch anstrengte, brachte er seine beiden Waffen nicht dazu, in das Geschehen einzugreifen. Es war, als hätte der Transport an diesen Ort Amulett und Kristall ausgeschaltet.
    Dann eben auf die harte Tour! Zamorra rannte zur Wand und ergriff die unterarmdicken Holztentakel mit beiden Händen. Er zog und zerrte mit aller Kraft, doch für jeden Ast, den er von Nicole lösen konnte, wuchsen in Windeseile zwei neue aus den Balken - ein Anblick wie im Märchen. Und die Äste wehrten sich! Mit wahnwitziger Geschwindigkeit schlugen sie nach ihm, hinderten ihn an seinem Rettungsversuch. Zamorra spürte, wie ihre Hiebe Striemen und kleinere Wunden bei ihm hinterließen, doch er musste weitermachen, durfte nicht nachgeben. Sein Wohlergehen war hier nicht relevant.
    Und Nicole - die zitternde, stöhnende, in ihren hölzernen Knebel schreiende Nicole - wurde mehr und mehr eins mit der Wand!
    ***
    Die Luft war so kalt, dass das Blut dampfte. Immer größer wurde der dunkelrote See auf dem Boden, und Wachmann Mike war die Insel in seiner Mitte. Eine regungslose Insel mit glasig-leeren Augen und einem Brustkorb, der sich nie wieder heben und senken würde. Dafür hatte die bizarr große Schusswunde in seiner Mitte gründlich gesorgt.
    Ellie wusste nicht, was sie mehr entsetzte: Mikes Anblick oder das Wissen über die wahre Natur seines Todes. Das Wissen über Ben.
    »Okay, jetzt komm.« Die Stimme ihres Bruders klang belegt, hatte ihren sachlichen, effizienten Unterton aber nicht verloren. Der patente Ben, auch in Extremsituationen. »Wir müssen uns beeilen, bevor die Kameras wieder online sind und Perry merkt, was hier abgeht.« Er wischte sich die blutverschmierten Hände an der Brust seines orangenen Overalls ab, der einzigen Kleidung, die er trug.
    Dann war er an der Tür, die aufstand, seit Mike die Zelle betreten hatte, und deutete Ellie, die genauso gekleidet war, sich zu beeilen.
    Doch sie rührte sich nicht vom Fleck, konnte es nicht. »Du hast… Du…«, stammelte sie, den Blick wie gefesselt auf dem toten Wachmann. So absurd es klang, empfand sie Trauer. Ja, Mike war ein Arsch und Sadist gewesen. Ja, er hatte zur Foundation gehört, und die Foundation war Quell und
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