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0965 - Die zweite Unendlichkeit

0965 - Die zweite Unendlichkeit

Titel: 0965 - Die zweite Unendlichkeit
Autoren: Simon Borner
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Grund allen Übels in ihrem Leben. Aber er war einer der fünf Menschen gewesen, die Ellie Campbell in ihren bisherigen siebzehn Jahren überhaupt gekannt hatte - und jetzt war er tot. Das musste doch irgendetwas bedeuten.
    Sie zuckte zusammen, als Bens Hände sie an den Schultern fassten und sie so aus ihrer Starre rissen. Das Gesicht ihres Bruders war plötzlich ganz dicht vor ihrem.
    »Ich habe ihn getötet, richtig«, sagte er sanft. »Habe ich es gewollt? Nein, wenngleich mich das selbst überrascht. Habe ich es gemusst? Ja. Damit wir leben können, Ell. Du und ich. Wirklich leben - nicht dieses Plastik-Instant-Dasein hier unten.« Dabei zuckte sein Kopf zur Seite, als wolle er mit dieser Geste den gesamten Raum umfassen. Das finstere Loch unter der Erde. Das einzige Heim, das Ellie je gekannt hatte, und das doch nur ein Gefängnis gewesen war. Quell der Angst.
    Sie wusste, dass er recht hatte und sein Handeln nötig gewesen war. Sie kannte ihn zu gut, als dass er sich vor ihr hätte verstellen können. Und natürlich erlauschte sie es.
    Abermals sah Ben zur Tür. »Bitte, Ell. Genau das haben wir doch immer gewollt: einen Ausweg. Das hier ist vielleicht unsere einzige Chance. Und mit jeder Sekunde, die wir hier diskutieren, schwindet sie. Du weißt es. Bitte komm. Ohne dich gehe ich nicht.«
    »Zur Sonne?« Die Worte kamen fast ohne ihr Zutun über ihre Lippen. Ellie war erstaunt, wie kleinmädchenhaft ihre Stimme mit einem Mal klang. Wie unsicher.
    Ben lächelte. »Zur Sonne«, wiederholte er. »Versprochen.«
    Sonne. Er hatte von ihr erzählt - von der Wärme auf der Haut, dem Gefühl von Geborgenheit und Energie. Zeitlebens hatte sich Ellie nichts mehr gewünscht, als es einmal selbst spüren zu dürfen. Als dieser ewigen Dunkelheit zu entkommen, die mehr an ihr nagte als alles, was Perrys Leute ihr und Ben je angetan hatten. Nun: Die Chance war nie greifbarer gewesen als jetzt.
    »Ich… Ich habe Angst.«
    Er umarmte sie, strich ihr über den Rücken und küsste ihr Haar. »Ich weiß«, flüsterte er. »Ich auch. Das gehört da draußen dazu.«
    Als er sich wieder von ihr löste, sah sie die Keycard in seiner Hand. Er hatte sie Mike abgenommen, als dieser verblutet… Ellie schüttelte den Kopf, vertrieb die Bilder. »Okay«, sagte sie leise.
    Ben hob die Brauen. Hoffnung blitzte in seinen Augen. »Okay?«
    »Okay.« Sie nickte.
    Er atmete tief durch, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich zum Ausgang. Tatsächlich: Nach siebzehn Jahren im goldenen Käfig tief unter der Wüste Nevadas würde Ellie Campbell zum ersten Mal das Tageslicht sehen. Der Gedanke war zu groß für sie, ließ sich nicht erfassen. Alles, was Ellie tun konnte, war, sich treiben zu lassen und darauf zu bauen, dass Ben wusste, was er tat. Wie immer.
    Kurz vor der Schwelle hielten sie inne und lauschten , doch im Gang war niemand. Nicht einmal in der näheren Umgebung. Die Chance war wirklich ideal, denn zu dieser späten Stunde hatte die Foundation nur eine Notbesatzung am Start, und die war bereits um einen Kopf kürzer gemacht.
    »Auf geht's«, murmelte Ben, umgriff Ellies Hand fester und schritt aus dem Raum.
    Im nächsten Augenblick war Ellie, als habe man sie mit Benzin übergossen und angezündet!
    Jeder Quadratmillimeter Haut, jeder Muskel ihres Körpers schien in Flammen zu stehen. Der Schmerz überstieg selbst das, was ihr die Foundation in all den Jahren angetan hatte, um Längen. Sie wollte schreien, wegrennen, sich wehren, und konnte doch nur stumm und stocksteif erdulden, wie das Unfassbare geschah.
    Der Sekundenbruchteil fühlte sich an wie zwei Ewigkeiten, und dann fanden sich die Geschwister plötzlich in einem anderen Gang wieder. Fort waren die nackten Steinwände der unterirdischen Top-Secret-Forschungsanlage, fort war der kalte Betonboden unter ihren nackten Füßen. Stattdessen sah Ellie weiß verputzte Mauern, dunkles Holz und einen Boden aus warmen, abgewetzten Dielenbrettern.
    »Wa-Was…«, stammelte Ben neben ihr und drückte ihre Hand so fest, als wolle er sie zerquetschen. »Was ist…«
    Ellie wusste es nicht, wusste überhaupt nichts mehr. Aber sie kam nicht dazu, dies in Worte zu fassen.
    Die Sinne noch immer geweitet und auf die Erlauschung weiterer Wachmänner geeicht, registrierte sie plötzlich die Anwesenheit zweier weiterer Wesen. Eines Mannes und eines…
    Nein!
    Ellie riss die Augen auf, starrte Ben an. Dieser erwiderte den Blick, ebenso fassungslos wie sie. Er hatte es auch gespürt, ohne Zweifel.
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