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0930 - Das Stigma

0930 - Das Stigma

Titel: 0930 - Das Stigma
Autoren: Jason Dark
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hieß.
    Vom Alter her konnte ich sie nicht einschätzen. Sie war nicht mehr zu jung, aber auch nicht zu alt. Sie mußte irgendwo dazwischen liegen.
    Hinzu kam, daß sich durch das Kopftuch ihr Alter ebenfalls schwer bestimmen ließ.
    »Warum kehrte Marcia zurück?«
    Ich hob die Schultern.
    »Sie wird es Ihnen doch gesagt haben.«
    »Das kann sein, Signora, aber nicht genau. Sie machte Andeutungen…«
    »Welcher Art?«
    »Ist Ihnen bekannt, daß sie über besondere Kräfte verfügte? Wissen Sie das?« Ich wartete auf die Antwort, aber die Frauen verhielten sich ziemlich reserviert, also redete ich weiter. »Marcia hat sich in London sehr gut eingelebt. Sie schaffte es, sich so etwas wie einen guten Namen zu machen. Man akzeptierte sie, und ihre ungewöhnlichen Heilmethoden wurden von zahlreichen Menschen geschätzt. Sie wissen sicher, was ich damit meine, Signora Tardi?«
    »Ja«, gab sie gedehnt zu. »Aber nicht genau.«
    »Das ist schade.«
    »Warum?«
    »Weil ich gehofft hatte, von ihnen hier mehr zu erfahren. Sie sind die Frauen, die Marcia gut kennen, die auch Bescheid wissen müssen, sage ich mal. Und ich hatte mir wirklich erhofft, von Ihnen eine gewisse Aufklärung zu bekommen.«
    »Wir kannten sie nicht so gut.«
    Ich lächelte und deutete damit meine Zweifel an. »Haben Sie wirklich nichts von dem Blut des Engels gesehen oder wenigstens davon gehört? Das kann ich nicht glauben. Es ist ein Phänomen, und ich habe es am eigenen Leibe gespürt, wie es heilt. Wäre Marcia nicht gewesen, so wäre ich wahrscheinlich nicht mehr am Leben. So muß man es sehen, und so sehe ich es auch für mich.«
    »Damit haben wir nichts zu tun, Signore Sinclair.«
    »Nicht direkt.«
    »Was meinen Sie damit?« Da sich die anderen Frauen ruhig verhielten, sprach ich Alexa Tardi an. »Mir hat man berichtet, daß es das Blut eines Engels ist. Wenn es stimmt, muß Marcia den Engel gekannt haben. Sie muß mit ihm in Kontakt getreten sein, und ich denke, daß sie nicht die einzige gewesen ist, die ihn kannte. Ich glaube vielmehr, daß auch sie hier in Aldroni mehr über ihn wissen.«
    »Warum sollten wir?«
    »Es ist schwer zu sagen. Aber sie haben sich auch ungewöhnlich verhalten, denn sie rotteten sich zusammen und flüsterten immer wieder, daß Marcia zurück ist. So reagiert man nicht bei jedem Menschen, der sein Dorf verläßt.«
    »Das stimmt«, gab die Tardi zu. »Dann wissen Sie doch Bescheid?«
    »Nicht direkt.«
    »Und was ist mit dem Blut?« Alexa Tardi schwieg. Auch die anderen redeten nicht. Es schien ihnen peinlich oder unangenehm zu sein, was ich nicht akzeptieren wollte, denn ich sagte: »Haben Sie es nie gesehen? Haben Sie es nie zu spüren bekommen? Hat Marcia dieses Blut nie eingesetzt? Hat sie niemanden aus dem Ort hier damit geheilt?«
    Diesmal gab man mir eine Antwort. »Si - einige von uns. Marcia hat es geschafft, die Wunden zu heilen, wir waren auch zufrieden, aber wir dachten später darüber nach und entschieden uns dafür, daß es nicht gut war.« Sie schüttelte den Kopf, so daß ihr Tuch an den Rändern flatterte. »Nein, es war nicht gut.«
    Das begriff ich nicht und fragte deshalb: »Was soll an einer Heilung von Wunden nicht gut sein?«
    »Es ist nicht ihre Sache.«
    »Wessen dann?«
    »Man kann dem Herrgott nicht ins Handwerk pfuschen.«
    »Das stimmt sicherlich. Nur sehe ich das nicht so. Dem Herrgott ist bestimmt nicht ins Handwerk gepfuscht worden. Im Gegenteil. Er wird es zugelassen haben, daß Marcia Morana diese Kräfte überhaupt bekommt, damit sie sie zum Nutzen der Menschen einsetzt, und zwar durch das Blut des Engels.«
    Alexa starrte mich an. Sekundenlang sprach sie nicht. In ihr aber arbeitete es, was sich auch äußerlich bemerkbar machte, denn einige Male zuckte es in ihrem Gesicht. »Das Blut eines Engels?« fragte sie dann und schüttelte den Kopf. »Nein, das ist nicht möglich, das kann nicht passen, Signore Sinclair. So etwas geht einfach nicht. Oder wie sehen Sie persönlich einen Engel? Ist er eine Person oder eine Gestalt, die bluten kann? Wenn ja, wäre er ein Mensch, aber er ist ein Engel. Und Engel sind Geister, wie wir wohl wissen, sonst wären sie keine Engel, sondern nur Menschen wie wir alle.«
    Da hatte sie im Prinzip recht, was ich ihr auch erklärte. Nur gab es bei den Engeln ebenfalls Unterschiede. Ich hatte früher auch anders gedacht und sie, der kirchlichen Lehre folgend, nur als Geistwesen angesehen. Das stimmte zwar, aber es ging auch anders. Da brauchte ich nur
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