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0861 - Gefangene der Namenlosen

0861 - Gefangene der Namenlosen

Titel: 0861 - Gefangene der Namenlosen
Autoren: Jason Dark
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hatte. Keine Mauer war eingebrochen, hier stand fast noch alles. Nur wenn sie den Kopf drehte und dort den Staub sah, wo John Sinclair verschwunden war, dann klopfte ihr Herz schneller.
    Da war einiges zusammengebrochen. Der Staub nahm ihr zudem die Sicht. Sie konnte nichts erkennen.
    Wenn sie wissen wollte, ob John noch lebte, mußte sie hingehen.
    Es rutschte nicht mehr viel nach. Hin und wieder hörte sie ein Knacken, dem der Aufprall folgte.
    Die Furcht hatte jedoch einen anderen Grund. Es war die Angst vor dem Unheimlichen, dem Teuflischen, den beiden Jungen eben, die diese Steinlawine zu verantworten hatten.
    Carla stand auf.
    Behutsam setzte sich das Mädchen in Bewegung. Schritt für Schritt und sehr bald auch über Steine und Balken steigend, die aus dem Gefüge gerissen worden waren.
    Der Staub hatte sich zum größten Teil wieder gesenkt, und sie konnte besser sehen.
    Die Hände preßten sich zusammen, als sie das Bild wahrnahm, das durch den dünnen Staubschleier sichtbar war. Es waren eben die Trümmer, es war die zerstörte Einrichtung, und zwischen all dem Chaos mußte ein Mensch liegen.
    Carla preßte die Finger gegen die Lippen, während sie sprach.
    »Bitte, laß ihn nicht tot sein. Bitte, lieber Gott, laß ihn nicht gestorben sein. Es darf nicht…«
    Ihre Worte versickerten, denn sie war mittlerweile weiter nach vorn gegangen. Sie hatte den schmalen Flur erreicht. Er war zum Teil noch vorhanden, erst weiter vorn war das Dach eingestürzt. Es hatte den Wohnraum völlig verwüstet, aber dafür hatte Carla keinen Blick. Etwas anderes nahm ihre Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Dicht neben einer noch intakten Flurmauer lag eine staubige, verkrümmte Gestalt.
    John Sinclair!
    Er rührte sich nicht. Er hatte sich zusammengerollt, um dem fallenden Gestein so wenig Widerstand wie möglich zu bieten, aber er war nicht verschont geblieben. Dieser Mann machte auf Carla den Eindruck einer staubigen Leiche.
    Leiche?
    War er tot?
    Sie fing an zu weinen, sie wollte es nicht glauben. Etwas in ihrem Innern sagte ihr, daß sie jetzt stark sein mußte. Wieder betete sie innerlich, daß der Schrecken doch nicht eintreten durfte. Es mußte doch eine Gerechtigkeit geben.
    Carla entdeckte auch das Blut. Es zeichnete sich auf der hellen Staubschicht besonders gut ab. Und es war aus seiner Wunde am Kopf des Mannes gelaufen.
    Um John herum lagen mehrere Steine. Er war von den Dachziegeln erwischt worden.
    Sie kniete sich hin. Mit zittrigen Fingern faßte sie nach der Hand, die ihr entgegengestreckt wurde. Carla kannte sie auch. Sie wußte, wie man den Puls fühlte. Für ein zwölfjähriges Mädchen hatte sie schon einiges gesehen. Auch war ihr bekannt, wie Leichen aussahen. Das alles schoß ihr durch den Kopf und tat wenig dazu bei, sich auf die wichtigen Dinge zu konzentrieren.
    Der Puls war nicht mehr festzustellen.
    Für einen Moment wollte Carla es nicht wahrhaben. Sie hatte sich geirrt, sie mußte sich geirrt haben. John Sinclair konnte nicht tot sein, nicht durch diese kleine Wunde, das war bestimmt nicht möglich. Sie stand einfach unter einem zu starken Druck, und deshalb versuchte sie es noch einmal.
    Volle Konzentration und den Atem anhaltend. Sie hatte sich kurz zuvor durch ihre eigenen Gedanken zu stark ablenken lassen, und aus ihrem Mund drang ein tiefer Seufzer der Erleichterung, als sie den Puls spürte. Wenn John lebte und nur bewußtlos war, würde sie ihn auch wieder auf die Beine kriegen. Daran glaubte sie fest. Sie mußte den Körper nur von der Wand wegziehen, und sie fürchtete sich auch davor, daß nach unten ragende Reste des Dachs noch in die Tiefe stürzen und das Leben des Mannes beenden konnten.
    Carla setzte all ihre Kraft ein. Ihr Gesicht lief vor Anstrengung rot an. John Sinclair war schwer, und Carla hatte Mühe, ihn aus seiner Lage hervorzuzerren.
    Er rutschte über den Boden und lag dann so günstig, daß Carla ihre Hände in die Achselhöhlen hineinstecken konnte, um fest zupacken zu können.
    Das Mädchen gab nicht auf. Es kämpfte, es setzte seine Kraft ein und gab acht, nicht in die Splitter der zerbrochenen Fenster zu fassen. Das alles kam bei ihr zusammen, sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe, aber sie dachte dabei nicht mehr an die Gefahr.
    Dafür schleifte sie John Sinclair in den am wenigsten zerstörten Raum.
    Auf dem Rücken ließ sie ihn liegen. Die Zwölfjährige atmete schwer, sie war erschöpft, sie brauchte eine kleine Pause, dann wollte sie versuchen, ihren Freund wieder
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