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07 Von fremder Hand

07 Von fremder Hand

Titel: 07 Von fremder Hand
Autoren: Deborah Crombie
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klatschte. Andrew zog diesen Namen bei weitem der gebräuchlicheren Bezeichnung »Wearyall Hill« vor, einer direkten Anspielung auf die Legende des Joseph von Arimathia. An dem Abhang zu seinen Füßen wuchs der berühmte Dornbusch von Glastonbury - seiner Meinung nach eine höchst zweifelhafte Touristenattraktion.
      Der Legende zufolge war Joseph nach der Kreuzigung Jesu mit zwölf Gefährten auf dem Seeweg nach Glastonbury gekommen. Der lange, bucklige Rücken des Hügels war das erste Land gewesen, das die Reisenden erblickt hatten, und als Joseph erschöpft, aber dankbar an Land gegangen war, hatte er seinen Weißdornstab in den Boden des Hügels gesteckt. Der Stab hatte Wurzeln geschlagen, und ein blühender Strauch war entsprossen - für Joseph und seine Gefährten ein Zeichen, dass er an dieser Stelle einen Tempel erbauen sollte, die erste christliche Kirche auf englischem Boden.
      Natürlich war der ursprüngliche Dornbusch längst eingegangen und durch einen dürren, vom Wind gebeutelten Strauch ersetzt worden, von dem Andrew sich kaum vorstellen konnte, dass er in irgendeinem Pilger, und sei er auch noch so leichtgläubig, ehrfürchtige Gefühle erwecken würde. Aber schließlich befasste er sich mit Tatsachen, nicht mit Fiktionen. Er zog eindeutig Dinge vor, die sich messen, aufzeichnen und mit Proben belegen ließen.
      Seiner Meinung nach war die Geschichte Glastonburys so reich, dass es unnötig war, sie mit Mythen und fragwürdigen Legenden auszuschmücken, und die Archäologie dieser Gegend stellte eine unerschöpfliche Quelle immer neuer - und nachprüfbarer - Entdeckungen dar. Die Art, wie seine Studenten bedenkenlos all diesen hanebüchenen Unsinn hinnahmen, der über Glastonbury kursierte, machte ihn wütend. Wenn ihnen der Sinn nach Dramatik stand, dann bot er ihnen die brutale Hinrichtung des letzten Abts von Glastonbury, Richard Whiting, der auf dem Gipfel des Tor von den Schergen Heinrichs VIII. gehenkt worden war. Kaum war Whiting tot, wurde er enthauptet und gevierteilt, die einzelnen Teile wurden dann in Wells, in Bath, in Ilchester und in Bridgewater zur Schau gestellt. Den abgetrennten Kopf aber platzierten die Mannen des Königs über dem großen Eingangstor der Abtei.
      Whiting war ein liebenswürdiger alter Mann gewesen, und das Schicksal hätte sicherlich einen geeigneteren Kandidaten für die Rolle eines Märtyrers königlicher Habgier finden können. Doch der Abt war mit stiller Würde in den Tod gegangen. Andrew konnte nie den Tor besteigen, ohne an Richard Whitings Hinrichtung zu denken, und er war ein erbitterter Gegner derjenigen, die am liebsten aus einem der heiligsten Orte Glastonburys einen Themenpark gemacht hätten.
      In diesem Punkt hatte er die Unterstützung seiner Schwester Winifred. Als anglikanische Priesterin fand sie die Vermarktung von Glastonbury durch die New-Age-Industrie ebenso schwer erträglich wie er. Gewiss, sowohl die Stadt als auch die Abtei konnten auf eine lange Tradition von Ausschmückungen der Wahrheit zurückblicken, gipfelnd in dem größten Schwindel aller Zeiten, der Ausgrabung der angeblichen Gebeine von König Artus und Königin Guinevere auf dem Friedhof der Abtei im Jahre 1191.
      Winnie, die immer nur das Beste in den Menschen sehen mochte, beharrte darauf, dass die Mönche in gutem Glauben gehandelt hätten, aber Andrews Einstellung war da schon zynischer. Nach der verheerenden Feuersbrunst von 1184 hatte die Abtei dringend Geldmittel für den Wiederaufbau gebraucht. Die »zufällig« aufgefundenen Reliquien brachten Pilger nach Glastonbury - und damit Einnahmen. Die menschliche Natur hatte sich in acht Jahrhunderten nicht sehr verändert, dachte er grimmig.
      Er bemerkte, dass es inzwischen fast völlig dunkel geworden war, pfiff nach Phoebe und legte ihr die Leine wieder an. Sie machten sich auf in Richtung Tal. Während Phoebe sich ihren Weg durch die Grasbüschel bahnte, stapfte Andrew hinterher und dachte dabei über die Geschichtsstunde für seine Abschlussklasse nach, die er für morgen noch vorbereiten musste. Primaner waren immer schwierig - zutiefst überzeugt von ihrer Wichtigkeit, an der Schwelle zu Erwachsenenfreiheit und Studium -, doch bei einem bestimmten Mädchen hegte er durchaus Hoffnungen, denn sie war eine gelehrige Schülerin und sehr an Archäologie interessiert. Aber er war schon des Öfteren enttäuscht worden. Es zahlte sich nicht aus, sich für Jugendliche allzu sehr zu engagieren.
      Winnie
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