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07 Von fremder Hand

07 Von fremder Hand

Titel: 07 Von fremder Hand
Autoren: Deborah Crombie
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weshalb es ihn wieder nach Glastonbury gezogen hatte. Als Student hatte er in der Domschule gesungen, und dieser Erfahrung verdankte er seine andauernde Begeisterung für Kirchenmusik.
      Und dann, eines Abends vor einem Monat, als er seinen angestammten Platz im Chorgestühl der Kathedrale eingenommen hatte, war sie plötzlich neben ihm aufgetaucht - eine Frau von angenehm gewöhnlichem Äußeren, Mitte dreißig, mit hellbraunem Haar, das unter einem weichen Samthut hervorlugte, und einer leichten Stupsnase. Sie fiel ihm nicht besonders auf, er nickte ihr nur beiläufig zu, als sie sich hinsetzte, wie man das bei Fremden tut. Der Gottesdienst begann, und genau in dem Moment, als die ersten hohen Töne der Sopranstimmen ihm einen Schauer über den Rücken jagten, trafen sich ihre Blicke, und sie lächelte.
      Anschließend plauderten sie angeregt und ganz natürlich miteinander, und als sie zusammen aus der Kathedrale ins Freie traten, vertieft in eine Diskussion über die Vorzüge verschiedener Chöre, da lud er sie spontan zu einem Drink im nahe gelegenen Pub ein. Den Priesterkragen bemerkte er erst, als er ihr aus dem Mantel geholfen hatte.
      Emily, die ihn immer wegen seiner konservativen Einstellung gerügt hatte, würde sich über seine Verblüffung köstlich amüsiert haben. Und Emily, da war er sich sicher, hätte Winnie sympathisch gefunden. Er streckte einen Finger aus und berührte das Foto auf seinem Schreibtisch, und Emily blickte ihn an mit ihren dunklen Augen, aus denen Humor und Intelligenz leuchteten.
      Seine Kehle zog sich zusammen. Würde der Schmerz seines Verlusts immer so dicht unter der Oberfläche liegen? Oder würde er sich eines Tages zu einer leisen, kaum bewussten Empfindung verflüchtigen, so vertraut und alltäglich wie eine raue Stelle auf der Haut? Aber wollte er das denn wirklich? Würde er weniger er selbst sein, wenn Emily nicht mehr ständig in seinen Gedanken gegenwärtig war?
      Er musste unwillkürlich lächeln. Emily würde ihn ermahnt haben, nicht so sentimental zu sein und sich lieber an die Arbeit zu machen. Mit einem Seufzer blickte er auf das Blatt Papier herab, und dann kniff er überrascht die Augen zusammen.
      Er hielt einen Stift in der rechten Hand, obwohl er sich nicht erinnern konnte, danach gegriffen zu haben. Und der Bogen, der noch einen Augenblick zuvor leer gewesen war, war nun mit einer fremdartigen Handschrift bedeckt. Er runzelte die Stirn und sah nach, ob darunter vielleicht noch ein anderes Blatt läge. Doch da war nur dieser eine Bogen, und als er ihn näher in Augenschein nahm, bemerkte er, dass der in einer kleinen, exakten Handschrift geschriebene Text anscheinend auf Latein war. Als er genug von seinem Schullatein zusammengekramt hatte, um eine grobe Übersetzung anzufertigen, wuchs seine Verblüffung.
      Wisset denn, was wir... Jack rätselte einen Moment, bevor er sich für erbauet haben entschied; es folgte etwas, was er nicht entziffern konnte, und dann ging es weiter... in Glaston. Sollte das Glastonbury sein? Es war schön wie... nur irgendein irdisch Ding, und hätte ich es nicht über die Maßen geliebt, so würde sich mein Geist nicht klammern an die Träume von all dem, was entschwunden ist.
      Ihr liebet wohl, was wir geliebt. Die Zeit... Hier war Jack gezwungen, zu dem zerfledderten Lateinwörterbuch in seinem Bücherschrank zu greifen, und nachdem er zu dem Schluss gekommen war, dass der Satz etwas mit Schlaf oder Schläfern zu tun hatte, fuhr er ungeduldig fort: ...zu erwecken, auf dass sich Glaston gegen die Finsternis erhebe. Wir haben... irgendetwas... lange auf euch... es liegt in euren Händen.
      Auf diesen Satz folgte ein sich verjüngendes Gekrakel, beginnend mit einem E - es mochte sich um eine Unterschrift handeln, möglicherweise »Edmund«.
      War das vielleicht irgendein Scherz, eine Zaubertinte, die sichtbar wurde, sobald sie dem Licht ausgesetzt wurde? Aber seine Sekretärin machte auf ihn nicht den Eindruck, als neige sie zu albernen Streichen, und schließlich hatte er das Blatt aus einem neuen Stapel genommen, den er eben erst eigenhändig ausgepackt hatte. Es blieb nur die Erklärung, dass er diese Zeilen zu Papier gebracht hatte - in einer fremden Handschrift und einer fremden Sprache. Aber das war absurd. Wie hätte er so etwas tun können, ohne dass es ihm selbst bewusst war?
      Die Wände von Jacks Büro schienen auf ihn einzustürzen, und die Stille, die sonst so beruhigend war, schien vor
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