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07 Von fremder Hand

07 Von fremder Hand

Titel: 07 Von fremder Hand
Autoren: Deborah Crombie
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neckte ihn gerne wegen seiner Schüler; sie sagte, er sei im falschen Jahrhundert geboren. Ihrer Ansicht nach hätte er einen perfekten Gentleman-Archäologen des neunzehnten Jahrhunderts abgegeben, umringt von andächtig lauschenden Jüngern. Andrew fand jedoch, dass der Ausdruck »andächtig« bei der Clique von gammeligen Doktoranden, die ihm gewöhnlich bei seinen Grabungen halfen, eher fehl am Platz war.
      Er und seine Schwester hatten seit ihrer Kindheit ein sehr enges Verhältnis zueinander. Nach dem frühen Tod beider Eltern rückten sie noch näher zusammen, und als Winnie nach fünf Jahren London eine Pfarrei in der Nähe von Glastonbury bekam, da dachte er, sein Leben sei vollkommen. Er hatte es wohl als selbstverständlich hingenommen, dass alles einfach immer so weitergehen würde - er spielte bis vor kurzem sogar mit dem Gedanken, sein Haus auf Hillhead zu verkaufen und zu Winnie ins Pfarrhaus zu ziehen. Sie teilten schon immer gemeinsame Interessen, insbesondere ihre Liebe zur Musik, und sie waren gewohnt, ihre Freizeit zusammen zu verbringen.
      Aber alles war anders geworden, seit Winnie im letzten Winter ein Verhältnis mit Jack Montfort angefangen hatte.
      Mit Winnie an seiner Seite war Andrew zufrieden gewesen - mit seinem Lehrerberuf, seiner archäologischen Arbeit, seinen Aktivitäten in der Gemeinde -, aber nun schienen all diese Dinge, die ihm einmal so viel bedeutet hatten, plötzlich sinnlos.
      Der Dornbusch ragte vor ihm auf, und seine windschiefe Silhouette zeichnete sich als dunklerer Schatten gegen die Dämmerung ab. Kurz darauf erreichte Andrew den Zauntritt an der Stelle, wo der Pfad auf seine Straße traf. Winnie liebte das Haus auf Hillhead mit seinem herrlichen Blick über die Somerset Levels, und sie war es, die ihm zu der schlichten Ausstattung geraten hatte, die die Wirkung der Aussicht noch erhöhte. Hier verbrachten sie so manchen Winterabend vor dem Kamin und verweilten im Sommer bis nach Einbruch der Dämmerung auf der Terrasse.
      Als Andrew das Haus betrat, schien es ihn mit seiner Leere zu verspotten. Er hängte Phoebes Leine sorgfältig an den Haken neben der Tür und füllte dann ihre abendliche Portion Futter in den Napf. Doch nachdem er einen kurzen Blick in den Kühlschrank geworfen hatte, verlor er jegliches Interesse an der Zubereitung seiner eigenen Mahlzeit.
      Stattdessen goss er sich nur ein Glas Rotwein ein und ging dann mit Glas und Flasche hinüber in das dunkle Wohnzimmer. Durch seine vorhanglosen Fenster konnte er unten in der Ebene schwache Lichtpunkte schimmern sehen, so weit entfernt wie die Sterne, die wie kleine Nadelstiche die Samtdecke des südlichen Himmels überzogen.
      Es schien, als breche sein ganzes Leben um ihn herum zusammen, und in seiner Brust spürte er ein dunkles, kaltes Gewicht, das an ihm nagte wie ein Tumor. Er hatte anderswo Trost gesucht - ein törichter Irrtum mit so katastrophalen Folgen, dass er alles tat, um den Vorfall aus seinem Gedächtnis zu verdrängen.
      Nie hätte er sich träumen lassen, dass irgendetwas - oder irgendjemand - ihn von seiner Schwester trennen könnte, oder dass er ihre Abwesenheit als so niederschmetternd empfinden würde. Hätte er je Winnies Glauben geteilt, so hätte dieser Schlag ihn erschüttert - wie konnte irgendein Gott ihn mit einem solchen Verlust strafen, nach all dem, was er durchgemacht hatte? Und kein Gott könnte es je wieder gutmachen, dachte er, während er sich ein zweites Glas Wein einschenkte. Das, so erkannte er nun in aller Klarheit, lag ganz und gar bei ihm.
     
    Fiona Finn Allen war an diesem Morgen mit dem Geruch ihrer Kindheit in der Nase aufgewacht, der als Erinnerung an einen schon halb vergessenen Traum in der Luft lag. Der Duft, frisch und waldig-grün wie die Luft eines Sommermorgens am Loch Ness, begleitete sie den ganzen Tag über, immer kurz davor, aus ihrem Unterbewusstsein aufzutauchen. Er erfüllte sie mit einem tiefen, fast körperlichen Bedürfnis zu malen, doch sie widerstand dem Impuls.
      Wann immer sie in den letzten paar Monaten zum Pinsel gegriffen hatte, war dasselbe Bild entstanden: ein Kindergesicht, das Gesicht eines kleinen Mädchens von vielleicht vier oder fünf Jahren. Wo das Bild herkam oder warum es so hartnäckig wiederkehrte, wusste sie nicht, aber immer wenn es auftauchte, fühlte sie sich hinterher krank, ihr Kopf schmerzte, und sie ahnte allmählich, dass damit irgendetwas ganz und gar nicht stimmte.
      Jetzt kniete sie
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