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008 - Hexenbalg

008 - Hexenbalg

Titel: 008 - Hexenbalg
Autoren: Gimone Hall
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ein kindisches Spiel, das ihm unbändigen Spaß machte. Aus seiner Fähigkeit, Schrecken zu erregen, zog er ein Gefühl der Befriedigung, und er kam sich wichtig vor. Es verlieh ihm Bedeutung.
    »Ja, ich habe Angst.«
    Das verunstaltete Gesicht verzerrte sich zu einem Lächeln und wirkte dadurch weniger bösartig. Mit langsamen Bewegungen setzte er seine Last ab.
    »Wer sind Sie?« fragte Beth.
    »Kein Mensch wie alle anderen, junge Frau.« Sie glaubte zunächst, er meine damit seine äußere Erscheinung, doch er fuhr fort: »Halb Kobold, halb Dämon. Haben Sie von mir noch nicht gehört? Ich wurde in der Wiege vertauscht.«
    »Vertauscht?«
    »Von Feen vertauscht«, krächzte er. »Sie haben mich anstelle eines hübschen schlafenden Kindchens, das sie raubten, in die Wiege gelegt.«
    »Lächerlich! Das können Sie nicht im Ernst glauben!« Beth bekam langsam genug von diesem Kerl, der stolz auf seine Hässlichkeit war.
    »Meine leibliche Mutter hat es mir gesagt«, beharrte er. »Sie hat es gleich gemerkt, als sie ins Haus kam und die Milch auf dem Küchentisch sauer geworden war. Die bösen Feen hatten das Haus heimgesucht. Und das Kleine in der Wiege war nicht das Kind, das sie geboren hatte …«
    Er ließ Beth keine Zeit zum Staunen und fuhr fort: »Möchten Sie einen guten Besen? Es gibt nichts Besseres zum Fegen.«
    Er war ein Besenbinder. Deswegen also das Reisigbündel, von dem er einen Teil schon mit Haselruten zu Besen zusammengebunden hatte. Beth suchte in ihrer Tasche nach Geld und gab ihm in ihrer Angst zu viel für einen ungeschickt gebundenen Besen. Dann drückte sie sich an ihm vorbei und sah zu, dass sie endlich aus der Tempelanlage herauskam.
    »Ein guter Besen!« rief er ihr nach. »Von der Sorte, wie Hexen sie benützen. Ein Hexenbesen.«
    Beth ließ den Besen fallen und fing zu laufen an. Sie rannte einen baumbestandenen Weg entlang, den sie für eine Abkürzung hielt und der ungefähr in die Richtung des Hauses führte. Atemlos lehnte sie sich an den Stamm einer Eiche. Das Laub filterte das Sonnenlicht zu einem zarten Goldton. Ein Vogelruf ertönte. Doch für Beth war der Reiz verflogen. Die Gegend erschien ihr durch den Aberglauben entfremdet, der hier herrschte, und durch die Grausamkeit einer Mutter ihrem eigenen Kind gegenüber.
    Inmitten dieser lieblichen Landschaft waren die Menschen zu abscheulicher Grausamkeit fähig, und sie hatten einem Mitmenschen das Recht auf Menschlichkeit verweigert.
    Sie ging weiter. Als sie endlich in die Nähe des Hauses kam, sah sie den Mietwagen. Peter war da. Sie fing wieder zu laufen an, stieß die Tür auf und warf sich atemlos in Peters Arme.
    Er hielt sie fest, während sie ihm aufgeregt von ihrem Erlebnis berichtete.
    »Der Wagen hatte im Dorf eine Panne«, erklärte er und küsste sie. Allmählich wurde der Tag für sie wieder schön, und eine Weile war alles so, wie es hätte sein sollen.
    Aber hier war der Keim gelegt worden, hatte Dr. Bollard erklärt. Die unheimliche Begegnung in außergewöhnlicher Umgebung, dazu ihre Sehnsucht nach Kindern – wäre eines dieser Elemente dazu gewesen, wäre ihr seelisches Gleichgewicht nie in die Gefahrenzone abgeglitten.
     
     
    ***
     
     
    Peter brachte sie in sein Haus nach Massachusetts. Es war ein solides, altmodisches Haus mit Giebel und viel überflüssigem Zierrat. Das Haus war von mehreren Morgen Land umgeben, auf dem Birken, Ahorn- und Kirschbäume wuchsen.
    Die Einrichtung stammte noch aus der Zeit um die Jahrhundertwende. Große Teppiche prangten in verblassten Rosenmustern. Vor den Fenstern hingen üppige Tüllgardinen, im Wohnzimmer sahen aus schweren Rahmen die Fotografien von Peters Eltern herab.
    Diese Porträtaufnahmen brachten Beth auf den Gedanken, dass die Ursache für Peters zeitweiligen Drang nach Zurückgezogenheit in einer unglücklichen Kindheit liegen müsse.
    Die zwei Augenpaare verfolgten sie, klagten sie an, doch sie wusste nicht, welcher Schuld. Sie ärgerte sich, dass diese Bilder in ihr Schuldgefühle wachriefen, und hätte sie am liebsten hinauf auf den Speicher verbannt.
    Das Entfernen der Bilder erwies sich jedoch als heikles Thema, dessen Lösung Peter und nicht ihr oblag. Und er beließ die Bilder an ihrem Platz, obwohl Beth das Gefühl hatte, dass die Bilder bei ihm eine ähnliche, wenn auch viel tiefere Wirkung hervorriefen. Nur zu gern hätte sie auch andere Veränderungen im Haus vorgenommen, doch dafür hatte er taube Ohren. Er wollte, dass alles beim alten blieb.
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