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008 - Hexenbalg

008 - Hexenbalg

Titel: 008 - Hexenbalg
Autoren: Gimone Hall
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Peter hatte im Keller eine Dunkelkammer eingerichtet. Wenn seine Arbeit nicht so ausfiel wie gewünscht, kam er herauf und lief ruhelos auf und ab, als könne er allein durch seine Gegenwart der düsteren Stimmung im Haus Herr werden.
    Einmal fragte sie ihn: »Na, was ist denn schief gegangen, Peter?«
    Er war überrascht. »Woher weißt du …?«
    »Du läufst so ruhelos auf und ab.«
    Da setzte er sich und ließ sich zu einer Tasse Tee überreden.
    Sie spürte, dass jeder Winkel des alten Hauses für ihn eine Bedeutung hatte, die ihr immer verborgen bleiben würde – nicht, weil er sie davon ausschließen wollte, sondern weil man solche Gefühle kaum in Worte kleiden konnte.
    Als er sie einmal bei der Lektüre eines Buches überraschte, sagte er in merkwürdigem Ton: »Dichtung schläfert den Verstand ein.«
    Sie sah ihn erstaunt an. Peter lächelte und setzte sich ihr gegenüber. »Genau da – da habe ich mit neun Jahren gesessen, als mich mein Vater beim Schmökern erwischte. Und genau das hat er gesagt, als er das Buch zerriss.«
    »Aber Peter! Wie schrecklich! Hast du dir ein neues verschafft?«
    »Natürlich. Ich habe es immer wieder gelesen und kenne es halb auswendig. Meinen Verstand hat es nicht eingeschläfert.«
    Beide lachten. Bei solchen Gelegenheiten spürte sie sein volles Vertrauen, und das Haus wirkte sogleich weniger düster.
    Aber Peters Erinnerungen endeten nicht immer mit Lachen. Da war zum Beispiel die Szene, als sie eines Tages einen besonders schönen Spaziergang unternahmen. Sie wählte einen Weg, den sie noch nicht kannte. Er blieb weit hinter ihr zurück, während Beth einen Baum mit einem sonderbar geformten Stamm entdeckte und ihm zurief: »Peter, sieh mal diese Buche. Ist sie nicht seltsam gewachsen?«
    Er hatte sie inzwischen eingeholt und sagte mit bleichem Gesicht: »An dieser Stelle starb meine Cousine. Ihr Pferd stolperte über den Baum und warf sie ab. Damals war der Baum noch ganz klein und ist seither gekrümmt gewachsen.«
    Eine Weile gingen sie schweigend weiter. Dann sagte er: »Es war mein Pferd – ich hätte es ihr nicht überlassen dürfen.«
    Jenen Nachmittag verbrachte er fast zur Gänze in der Dunkelkammer, während Beth allein im Wohnzimmer in Gesellschaft der zwei anklagenden Porträts saß.
    Er hasst dieses Haus, dachte sie bei sich, und sie selbst hasste es auch. Aber warum wohnten sie dann hier? Wie gern wäre sie zurück nach New York gefahren, aber sie wagte es nicht, Peter mit diesem Vorschlag zu kommen.
    Aber sie unternahm wenigstens einen Anlauf im Hinblick auf die Bilder. Das war während ihrer ersten Schwangerschaft. Eines Abends, sie lagen schon im Bett, sagte Beth: »Ich werde die Bilder im Wohnzimmer entfernen. Sie wirken so bedrückend auf mich. Du musst entschuldigen – wahrscheinlich ist mein Zustand daran schuld.«
    Er schien erleichtert. »Ich werde das erledigen«, sagte er. »Gleich morgen schaffe ich sie hinauf auf den Speicher. Und dann kaufen wir den Teppich, der dir so gut gefällt.«
    Damit begann der Versuch, das Haus zu modernisieren. Die Teppiche mit den Blumenmustern wichen pastellfarbigen, modernen Spannteppichen. Die dunklen, steifen Möbel und die Vorhänge, die ohnehin nur Staubfänger waren, sollten weg. Jetzt kam Farbe ins Haus, Farbe überall, besonders an Peter, der beim Ausmalen die Schwerarbeit übernahm, während er Beth die Verschönerung der Fensterrahmen überließ.
    Allmählich machte das Haus eine Charakteränderung durch. Beth sagte kein Wort davon, dass der penetrante Farbgeruch ihre morgendliche Übelkeit verschlimmerte. Peter war blendender Laune und plante sogar schon den Fassadenanstrich.
    Eines Morgens – Beth war im vierten Monat – machte ein schneidender Schmerz den Arbeiten ein plötzliches Ende. Eine Stunde später bestätigte ihr der Arzt, dass sie ihr Kind verloren hatte. Nach einigen Tagen Klinik kehrte sie in ein Haus zurück, das wieder abweisend wirkte. Peter verfiel wieder in seine alten Stimmungen. Eine Anzahl Farbdosen blieb ungeöffnet auf dem Speicher stehen.
    Auch Beth war zutiefst bekümmert. Sie wurde immer mehr von Zweifeln an sich selbst geplagt. Ihr Körper hatte versagt und Peters Kind nicht zur Welt gebracht.
    Eines Tages kam sie von einem Einkauf zurück und musste entdecken, dass die zwei Porträts an der frisch gestrichenen Wand hingen. Mit einem Aufschrei stürzte Beth zur Wand, riss die Bilder herunter und trug sie hinauf auf den Speicher. Sie und Peter verloren kein Wort über
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