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Treue Genossen

Treue Genossen

Titel: Treue Genossen
Autoren: Martin Cruz Smith
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    Martin Cruz Smith
     
    GENOSSEN
     
    Ein Arkadi-Renko-Roman
     
     
    Die Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Wolves Eat Dogs«.
     
    Für Em
     
     
    Moskau schwamm in Farbe. Das trübe Scheinwerferlicht vom Roten Platz verschmolz mit den Leuchtreklamen der Kasinos am Revolutionsplatz. Licht flutete aus der unterirdischen Einkaufspassage am Manegenplatz. Scheinwerfer bekrönten neue Bürotürme aus Glas und poliertem Stein, und auf jedem Turm saß eine Spitze. Der Bürgermeister liebte solche Spitzen. Vergoldete Kuppeln schwebten noch rund um den Gartenring, doch die ganze Nacht hindurch bohrten sich Bulldozer in die alte Stadt und trieben immer breitere Schneisen aus Licht hinein, aus denen einen modernes, vertikales Moskau wachsen sollte, das mehr an Houston oder Dubai erinnerte. Es war ein Moskau, an dessen Schaffung Pascha Iwanow mitgewirkt hatte, eine Landschaft sich verschiebender tektonischer Platten, heißer Lavaströme und verhängnisvoller Irrtümer.
    Chefinspektor Arkadi Renko lehnte sich aus dem Fenster. Zehn Stockwerke unter ihm lag Pascha Iwanow auf dem Gehsteig. Er war tot, aber nicht blutüberströmt, Arme und Beine waren seltsam verrenkt. Zwei schwarze Mercedes parkten am Bordstein, Iwanows Wagen und der Geländewagen seiner Leibwächter. Manchmal hatte Arkadi den Eindruck, dass jeder erfolgreiche Geschäftsmann und Mafioso in Moskau zwei Mercedes in SS-Schwarz besaß.
    Neben den Leibwächtern aus Iwanows Begleitfahrzeug trugen auch der Mann von der Rezeption des Gebäudes und der Fahrstuhlführer Schusswaffen. Kameras überwachten die Lobby, den Gästelift, den Lieferanteneingang und die Vorderfront. Pascha war um 21.28 Uhr eingetroffen, unverzüglich in die sicherste Wohnung von Moskau hinaufgefahren und um 21.48 Uhr draußen auf den Asphalt gestürzt. Arkadi hatte die Entfernung bis zur Mauer gemessen. Mordopfer schlugen in der Regel dicht am Haus auf, da sie den Sturz mit aller Macht zu verhindern versucht hatten. Selbstmörder waren zielstrebig und landeten weiter draußen. Iwanow war hart am Bordstein aufgeschlagen.
    Im Wohnzimmer hinter Arkadi hatte Staatsanwalt Surin soeben dem Vizepräsidenten von NoviRus, einem gewissen Timofejew, und einer jungen Blondine mit modisch schwarz gefärbtem Haar aus der Hausbar etwas zu trinken gebracht. Surin war penibel wie ein Oberkellner. Er hatte sechs Kreml-Regierungen überlebt, weil er stets erkannte, wer seine besten Kunden waren, und ihnen half, Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Timofejew zitterte, und das Mädchen war betrunken. Die Zusammenkunft erinnerte Arkadi ein wenig an eine Party, bei der der Gastgeber plötzlich aus unerklärlichen Gründen aus dem Fenster gesprungen war. Nach dem ersten Schreck feierten die Gäste weiter.
    Gewissermaßen das fünfte Rad am Wagen war Bobby Hoffman, Amerikaner und Iwanows Assistent. Obwohl millionenschwer, trug er Slipper mit aufgeplatzten Nähten und eine abgewetzte, speckige Wildlederjacke, außerdem hatte er Tintenkleckse an den Fingern. Arkadi fragte sich, ob der Mann bei NoviRus noch eine Zukunft besaß. Als Assistent eines Toten? Das klang nicht gerade viel versprechend.
    Hoffman trat zu Arkadi ans Fenster. »Was sollen die Plastiktüten an Paschas Händen?«
    »Ich habe nach Hinweisen dafür gesucht, dass er Widerstand geleistet hat, zum Beispiel nach Schnittwunden an den Fingern.«
    »Dass er Widerstand geleistet hat? Wie bei einem Kampf?«
    Staatsanwalt Surin schnellte auf dem Sofa nach vorn. »Es gibt keine Untersuchung. Bei Selbstmord führen wir keine Untersuchung durch. In der Wohnung finden sich keine Spuren von Gewalt. Iwanow ist allein heraufgekommen. Er ist allein gesprungen. Ein glasklarer Fall von Selbstmord, meine Herrschaften.«
    Das Mädchen hob benommen den Kopf. Nach der Akte, die Arkadi über Iwanow angelegt hatte, war Rina Schewtschenko dessen private Innenarchitektin, eine Einundzwanzigjährige in einem roten Hosenanzug aus Leder und hochhackigen Stiefeln.
    Timofejew war als kraftstrotzender Sportler bekannt, aber so wie er jetzt aussah, regelrecht geschrumpft in seinem Anzug, hätte er sein eigener Vater sein können. »Selbstmord ist eine private Tragödie«, sagte er. »Es ist schon schlimm genug, wenn ein Freund stirbt. Oberst Oschogin, der Sicherheitschef von NoviRus, ist bereits auf dem Weg.« Und an Arkadi gewandt: »Der Oberst möchte nicht, dass bis zu seinem Eintreffen etwas angerührt wird.«
    »Wir lassen einen Toten doch nicht wie einen
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