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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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geschehen sein. Konnten sie es verantworten, gar nichts zu tun und einfach abzuwarten?
    »Weißt du was?«, sagte er nach einer Weile. »Zamorra wird wohl nicht damit einverstanden sein, aber… Es kann nicht schaden, wenn ich mal nachsehen gehe, was die beiden treiben. Zamorra hat recht – in der Nacht sind alle Katzen grau. Und so ein Pflanzenröckchen, wie Tizoc sich das gebastelt hatte, das kriege ich auch noch hin.«
    »Vielleicht nicht die schlechteste Idee«, stimmte Nicole zu. »Vielleicht sollten wir ihnen wirklich nachgehen.«
    »Wir?«
    »Natürlich. Oder glaubst du im Ernst, dass ich hier bleiben würde?«
    Fleming wusste, dass es sinnlos war, Widerstand zu leisten. Nicole hatte ihren eigenen Kopf. Und sie verstand es auch meist, ihn erfolgreich durchzusetzen.
    »Also gut«, gab er widerwillig nach. »Wir warten noch ungefähr eine Viertelstunde und dann marschieren wir los. Möglicherweise begegnen wir den beiden sogar unterwegs. Ich fang dann mal an, mir einen Frack zu häkeln.«
    Bevor er die Mulde verließ, blickte er angestrengt zum Tempel hinüber. Nichts rührte sich. Wie in den ganzen letzten Stunden lag das düstere Bauwerk da wie ausgestorben. Und doch wusste er genau, dass dieser Eindruck täuschte. Furchtbare Dinge mochten sich gerade in diesem Augenblick im Tempelinneren abspielen.
    Er kroch zwischen den Felsen hervor und kletterte ein paar Meter abwärts, wo mehrere Kriechsträucher standen. Dann riss er ein paar Zweige ab und knotete sie um die Hüften. Die Hula-Girls von Hawaii sahen besser aus, aber was sollte es. Schließlich wollte er keinen Preis gewinnen.
    Die Viertelstunde verging. Zamorra und Pizana tauchten nicht auf.
    »Gehen wir«, sagte Bill.
    Sie brachen auf. Wie vorhin schon Zamorra und der Indianer versuchten sie, sich den Gegebenheiten der Felslandschaft so gut wie möglich anzupassen, um unter keinen Umständen bemerkt zu werden. Bill war froh, dass er sich entschlossen hatte, die schier endlose Warterei aufzugeben. Nichts schlauchte nervlich mehr als Untätigkeit. Und auch sein frierender Körper war dankbar dafür, sich endlich wieder bewegen zu können.
    Vorsichtig liefen sie talwärts.
    Die Nacht war nicht stumm. Der Wind rauschte in Blättern und Gräsern, Vögel krächzten und flöteten, Kriechtiere raschelten im Gesträuch. Die Natur lebte, spielte eine harmonische Sinfonie auf vielfältigen Instrumenten.
    Plötzlich jedoch gab es einen Missklang. Andere Geräusche wurden hörbar. Schritte und das Gemurmel menschlicher Stimmen.
    Nicole und Bill erstarrten. Die Schritte kamen von vorn, ihnen entgegen.
    Zamorra und der Indianer? Nein! Es waren zweifellos mehr als zwei Personen, die sich da näherten.
    Das unvermutete Auftauchen von Menschen brachte sie in eine dumme Situation. Die Lokalität war denkbar ungünstig. Rechter Hand türmte sich ein Felswall. Schroff und steil trat das Gestein im schwachen Mondlicht schattenhaft hervor. Ein seitliches Ausweichen in diese Richtung war nicht möglich. Auf der anderen Seite sah es jedoch noch schlechter aus. Dort gab es einen Abhang, in dem die Dunkelheit wohnte. Wie tief es hinabging, ließ sich auf Anhieb nicht feststellen.
    Bill musste in Sekundenschnelle eine Entscheidung treffen. Gleich würden die Entgegenkommenden um eine Felsnase treten und sie sehen. Er entschloss sich für den einzig gangbaren Weg.
    »Zurück!«, flüsterte er der Französin zu. »Wir müssen zurück.«
    Nicole verstand ihn sofort. Gemeinsam mit dem Amerikaner drehte sie sich auf dem nichtexistenten Absatz um und orientierte sich wieder rückwärts.
    Sie hatten Glück. Nur wenige Meter weiter klaffte ein Spalt im Fels, wie geschaffen, ihnen Unterschlupf zu gewähren.
    »Hier, Nicole!«, raunte der Historiker. Und schon drängte er die Frau in die Lücke zwischen den Felsen, schob sich selbst hinein.
    Eng war es, eng und unbequem. Der Spalt hatte nur auf den ersten Blick ideal ausgesehen. Tatsächlich jedoch war er nicht mehr als eine unbedeutende Einkerbung im Gestein. Einen Meter tief vielleicht, mehr nicht. Die beiden standen da wie die letzten Matrosen eines untergehenden Schiffs, die sich an die Spitze des Topmastes geklammert hatten und die Flut ständig näherkommen sahen.
    Unter normalen Umständen hätte Bill nichts dagegen einzuwenden gehabt, auf so enge Tuchfühlung mit einer hübschen Frau zu geraten. Unter diesen Umständen jedoch…
    Die Fremden waren jetzt fast heran, zum Greifen nahe.
    Der Amerikaner spürte den schnellen Herzschlag
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