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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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bleiben wollen…«
    Natürlich stellten sie sofort die unvermeidliche Frage, wieso er denn nicht sofort mitkommen würde.
    »Ich habe hier noch etwas zu erledigen«, antwortete er ausweichend. »Los, nun macht schon. Ab mit euch! Hier!« Er streifte sein Amulett vom Hals. »Nehmt das noch mit. Für alle Fälle.«
    Nicole und Bill verstanden ihn zwar nicht, kamen aber kopfschüttelnd seiner Anweisung nach. Sie liefen die Treppenstufen hinunter.
    Zamorra wandte sich um, hob den Kopf und blickte zum Gipfel des Vulkans empor, der in mehr als viertausend Meter Höhe sein schneebedecktes Haupt dem Himmel entgegenreckte.
    Fest packte er den gefiederten Schlangenstab und hielt ihn vor die Augen. Dann murmelte er in eindringlichen Worten die magische Formel des fließenden, alles zerstörenden Feuers.
    Und wieder zeigte Quetzalcoatl seine Macht. Dunkle Rauchwolken stiegen aus dem fernen Krater des feuerspeienden Berges. Ein dumpfes Grollen erhob sich in seinen Eingeweiden. Und dann färbte sich der Himmel rot, als die ersten Lavastöße aus dem Schlund des Vulkans hervorschossen und sich talwärts wälzten.
    Dem Tempel des Tezcatlipoca blieb nur noch eine geringe Zeitspanne, bis ihn das Verderben erreicht haben würde.
    Auch für Zamorra selbst wurde es nun Zeit. Er ging zur Treppe und eilte hinunter. Aber er kam nur bis zum letzten Treppenabsatz.
    Plötzlich war da eine unsichtbare Faust, die ihn unerbittlich festhielt und dann zu Boden schleuderte.
    Und eine Stimme, die unmittelbar in sein Bewusstsein drang, donnerte auf ihn ein.
    »Knecht des unsäglichen Quetzalcoatl! Es ist dir gelungen, meine Diener und mein Haus zu zerstören. Aber die Rache ist mein. Ich könnte dich töten, aber das wäre nicht Strafe genug für eine schändliche Kreatur wie dich. Leben sollst du, ewig Leben! Und für alle Zeit sollst du vor Augen haben, was du mit frevlerischer Hand angerichtet hast. Es sei!«
    Für Sekunden tauchte eine riesige nebelhafte Fratze vor seinen Augen auf. Ein grausam verzerrter Jaguarschädel, in dem glühende Augen loderten. Dann verschwand die Fratze. Statt dessen entstand eine durchsichtige, leuchtende Wolke, die langsam auf ihn zuschwebte und seinen Körper einhüllte wie ein Kokon die Puppe.
    Ein seltsames Gefühl ergriff Besitz von Zamorra. Er spürte, wie sämtliche Körperzellen förmlich erstarrten. Er war nicht in der Lage, ein einziges Glied zu bewegen. Nur seine Sinne arbeiteten voll. Er sah, er hörte, er nahm Gerüche wahr. Und er konnte denken.
    Bis in alle Ewigkeit, wenn Tezcatlipoca recht hatte.
    Die Lava floss heran, ließ den Tempel zerbersten. Riesige Gesteinsbrocken flogen wie Spielzeug durch die Luft, krachten auf die Erde.
    Auch Zamorra wurde oft getroffen. Aber er blieb völlig unversehrt. Die Objekte prallten ab, konnten dem magischen Schutzschirm nichts anhaben.
    Bis in alle Ewigkeit , dachte Zamorra abermals. Oh Gott!
    Xamotecuhtli, der Held der Chalca, war geboren. Nur dass die Realität nicht ganz mit der Legende übereinstimmte.
    ***
    Nicole, Bill und Tizoc Pizana, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte, fanden das Loch in ihre Zeit auf Anhieb. An einer bestimmten Stelle des Raums schwebte ein schwarzer Nebel in der Luft, der bis zur Decke reichte. Mutig streckte Bill seine Hand aus und hielt sie in das dunkle Etwas. Die Hand verschwand. Aber nur für die Augen, denn er spürte sie nach wie vor. Bill stieg ganz in den Nebel hinein.
    Und schon konnte er die Sonne sehen, die in ein Felsloch schien, das sich keine zwei Meter über ihm auftat.
    Die Sonne die er sah, schien nicht über Amecameca. Sie strahlte über Sacromonte.
    Kaum eine Minute später standen sie sicher zwischen den jahrhundertealten Trümmern des einstigen Tempels.
    Aber ihre Freude, dem Reich der blutigen Götter entronnen zu sein, bekam schnell einen gewaltigen Dämpfer.
    Sie sahen ihn.
    Xamotecuhtli!
    Nein, nicht Xamotecuhtli. Der Mann, der dort drüben von einem Halo umgeben schwerelos in der Luft schwebte, war zweifellos Professor Zamorra, so wie sie ihn erst vor wenigen Minuten auf der Opferplattform verlassen hatten.
    Sie waren sofort bei ihm, starrten seine Erscheinung fassungslos an. Deutlich war zu erkennen, dass er nicht tot war. Der wache Ausdruck in seinen Augen gehörte einem Lebenden.
    »Wie ist es möglich, Bill?« Nicoles Lippen zitterten.
    Der Amerikaner machte eine hilflose Schulterbewegung.
    »Ich weiß es nicht«, antwortete er »Ich weiß es wirklich nicht.«
    Angestrengt dachte er nach, bemühte er
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