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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Indianer mahlte mit den Zähnen. Wahrscheinlich traten ihm jene entsetzlichen Momente vor Augen, in denen er mit ansehen musste, wie die Schlächter seine Frau töteten.
    »Wir müssen etwas tun, Señor Zamorra«, sagte er mit rauer Stimme. »Der Schlangenstab, den Ihnen Xochicatl gegeben hat… Können Sie nicht …«
    Zamorra betrachtete den mehrfach gekrümmten Stab mit dem Schlangenkopf und der grünen Federkrone, der an einer Schlaufe seines weißen Gewands hing. Der Oberpriester im Tempel von Amecameca hatte ihn mehrere Beschwörungsformeln gelehrt, mit denen er übernatürliche Kräfte freisetzen konnte. Es war nicht leicht für ihn gewesen, die inkorporierenden Bandwurmwörter des Nahuatl auswendig zu lernen, aber sein hervorragendes Gedächtnis hatte ihm geholfen.
    Er zog den Stab aus der Schlaufe.
    »Ja!«, sagte er entschlossen. »Ich werde etwas tun!«
    Mit scharfen Augen maß er die Basis des Tempels. Hier war niemand der Jaguarmänner zu sehen. Die gesamte Aktivität schien sich ausschließlich auf die obere Plattform zu beschränken. Es sah nicht danach aus, als würden die Diener Tezcatlipocas die Umgebung unter Beobachtung halten. Ihre Aufmerksamkeit galt allein den Geschehnissen auf der Plattform selbst.
    »Wünschen Sie mir Glück, Tizoc«, sagte er.
    »Sie wollen mich nicht mitnehmen, Señor Zamorra?« Der Indianer sah nicht glücklich aus, als er diese Worte sagte.
    Zamorra schüttelte den Kopf. »Es wäre unverantwortlich, Tizoc. Sie sind nicht geschützt, wären machtlos gegen jede Attacke der Kerle.«
    Enttäuschung zeigte sich im Gesicht des Mannes. Deutlich sah ihm der Professor an, wie es ihn danach drängte, Rache für den Tod seiner Frau zu nehmen. Aber die Vernunft trug schließlich doch den Sieg davon. Seine verkrampften Gesichtszüge entspannten sich.
    »Vielleicht haben Sie recht, Señor Zamorra«, sagte er. »Viel Glück!«
    Geschmeidig schlüpfte der Professor aus der Felsmulde. Dann rannte er so schnell er konnte zum Tempel hinüber. Er war dabei nicht sonderlich auf Deckung bedacht, hoffte nur, dass nicht jemand gerade in diesen Augenblicken zufällig nach unten blicken würde.
    Etwas außer Atem erreichte er die schräg ansteigende Stirnwand.
    Sofort lief er weiter, umrundete eine Ecke und stand dann vor der Seitenwand. Dort waren die Treppenstufen, die hoch zur Plattform führten.
    Zamorra packte den Stab Quetzalcoatls fester, und stürmte die Treppe empor. Er hatte noch keine genaue Vorstellung, wie er vorgehen sollte. Aber er wusste, dass er keine Zeit zu verlieren hatte.
    Hoffentlich war es nicht sowieso schon zu spät.
    Nach jeweils etwa zehn Stufen gab es eine Zwischenplattform, die sich dem stufenförmigen Gesamtcharakter der Pyramide anpasste.
    Auf dem dritten Treppenabsatz gab es Ärger. Ein Wandsegment öffnete sich, und zwei Männer in Jaguarfellen traten hervor.
    Sie sahen ihn im gleichen Augenblick wie er sie. Und sie reagierten sofort. Ein weißer Mann im Gewand der Quetzalcoatl-Priester. Das konnte nur ein Feind sein.
    Der eine hatte seinen rauchenden Spiegel sofort in der Hand.
    Der Professor fürchtete die magischen Spiegel nicht. Sein Amulett allein war in der Lage, den dämonischen Feuerzungen zu trotzen.
    Und diesmal hatte er sogar noch ein zusätzliches Zaubermittel: Den Schlangenstab.
    Eine gute Gelegenheit, die Wirksamkeit von Quetzalcoatls magischen Kräften zu testen.
    Er beschränkte sich nicht auf die Verteidigung, sondern setzte den Stab als Angriffswaffe ein. Wie ihn Xochicatl unterwiesen hatte, hob er den Stab vors Gesicht und fixierte ihn mit beiden Augen. Dann murmelte er eine der erlernten Beschwörungsformeln.
    Eine Inkarnation der Grünfederschlange war Ehecatl, der Windgott. Und ein Windzauber war es auch, den Zamorra dem Schlangenstab entlockte.
    Voller Erfolg war ihm beschieden.
    Plötzlich war da ein Brausen, das aus dem Nichts kam. Eisig wurde die Luft. Zamorra richtete den gefiederten Schlangenkopf auf die beiden Jünger des Schrecklichen. Eine Windbö raste über die Plattform, erfasste die Jaguarmänner. Ihre Felle bauschten sich wie Luftballons, als der Wind unter sie fuhr. Dann wurden die beiden Männer wie von einer Riesenfaust hochgerissen und herumgewirbelt.
    Die Windbö spielte mit ihnen wie mit Papierfetzen. Sie schaukelten hilflos hin und her und strampelten verzweifelt mit den Beinen.
    Aber ihre Gegenwehr war sinnlos. Der Wind nahm sie und schleuderte sie mit Urgewalt die Treppenstufen hinab. Mit zerschmetterten Gliedern blieben
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