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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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der Französin wie seinen eigenen. Er war nicht weniger aufgeregt als Nicole.
    Wenn die Männer sie entdeckten, hatten sie keine Chance, davonzukommen. Über die Identität der Ankömmlinge gab es kaum große Spekulationen. Mit Sicherheit waren es Männer, die in den Tempel gehörten. Mit einem Wort: Jünger des Schrecklichen.
    Beinahe hätten sie es geschafft. Eng gegen Nicole und den Fels gepresst, hielt er mit zurückgedrehtem Kopf den Pfad im Auge. Er sah sie vorbeigehen. Fünf oder sechs Männer in Fellumhängen. Wahrscheinlich handelte es sich um jene Priester, die am Nachmittag den Tempel verlassen hatten und ins Tal hinuntergewandert waren.
    Der letzte von ihnen passierte gerade den Spalt. Da passierte es.
    Er bekam einen Wadenkrampf.
    Der Schmerz kam so spontan und war so stark, dass er unwillkürlich aufstöhnte. Leise und unterdrückt zwar, aber doch nicht leise genug.
    Der letzte Diener Tezcatlipocas hatte ihn gehört und blieb abrupt stehen. Er stieß einen Laut an die Adresse seiner Kumpane aus, veranlasste sie, ebenfalls ihren Schritt zu verhalten und sich umzudrehen. Sechs Augenpaare versuchten, die Dunkelheit zu durchdringen.
    Bill wäre am liebsten im Erdboden versunken. Mit zusammengebissenen Zähnen bemühte er sich, den Schmerz in seiner rechten Wade zu ignorieren. Aber es gelang ihm nicht. Wadenkrämpfe gehörten zu den schlimmsten Schmerzen, die man sich vorstellen konnte. Insbesondere dann, wenn man nichts tun konnte, um die verkrampften Muskeln zu lockern.
    Sein Bein bewegte sich völlig gegen seinen Willen. Automatische Reflexe des Körpers übernahmen das Kommando.
    Damit war alles verloren. Die Feinde hatten sie zweifelsfrei entdeckt. Schon machte derjenige, der als erster aufmerksam geworden war, zwei schnelle Schritte nach vorne.
    Fleming umklammerte das Obsidianmesser fester, das er die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Mit einem Satz sprang er nach vorn.
    Angriff ist die beste Verteidigung! , schoss es ihm durch den Kopf.
    »Lauf weg, Nicole!«, rief er gleichzeitig. »Runter ins Tal. Ich versuche, sie aufzuhalten.«
    Er fand keine Zeit, sich davon zu überzeugen, ob sie tat, was er gesagt hatte. Der Jünger des blutigen Gottes beanspruchte jetzt seine ganze Aufmerksamkeit.
    Bill erkannte, dass er mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung unter sein Gewand gegriffen hatte. Matt glänzte etwas auf.
    Bill erinnerte sich an das Hotel in New Mexiko und Zamorras Bericht über die magischen Spiegel dieser Kerle. Er reagierte augenblicklich. Bevor der Azteke seine unheimliche Waffe einsetzen konnte, stieß er mit dem Messer zu. Die Klinge aus hartem Glasstein bohrte sich in den Arm des Gegners. Mit einem Aufschrei ließ der Mann das Teufelswerkzeug fallen.
    Sofort bückte sich Bill, versuchte das Ding in die Finger zu bekommen. Vielleicht würde es auch ihm Dienste erweisen. Vielleicht würde er imstande sein, sich mit Hilfe des Spiegels die anderen Kerle vom Hals zu halten.
    Seine Hoffnung war leerer Wahn. Er schaffte es noch, das Ding mit den Fingerspitzen zu berühren, mehr jedoch nicht. Die anderen waren über ihm. Zu fünft drangen sie auf ihn ein. Bill bekam einen harten Schlag auf den Kopf. Die Dunkelheit vor seinen Augen wurde zu einem undurchdringlichen Schwarz.
    Er verlor das Bewusstsein.
    ***
    Nicole Duval hatte gezögert. Es war nicht ihre Absicht gewesen, davonzulaufen. Sie wollte Bill in seinem Kampf gegen die Priester helfen, wollte ihn unterstützen, so gut sie konnte. Als sie jedoch sah, wie er niedergeschlagen wurde, wusste sie, dass sie nichts mehr für ihn tun konnte.
    Sie drehte sich um und lief. Wenn sie Zamorra in der Stadt fand…
    Vielleicht bestand dann doch noch eine Hoffnung für Bill.
    Schnell hatte sie einen Vorsprung gewonnen. In ihrem Rücken hörte sie hastende Schritte, die jedoch nicht näher kamen. Sie war jung und sportlich, und die Angst beflügelte sie. Wie eine Gazelle rannte sie den Pfad hinunter, immer in Gefahr, in der Dunkelheit vom Weg abzukommen und in den links gähnenden Abgrund zu stürzen.
    Der Abstand zwischen ihr und den Verfolgern wuchs. Sollte es ihr wirklich gelingen, entfliehen zu können? Sie wusste nicht, was sie unten in der Stadt erwartete. Nur eins wusste sie genau. Schrecklicher als in den Klauen der Diener des Tezcatlipoca würde sie es kaum antreffen.
    Dann jedoch, als sie beinahe schon wirklich glaubte, die teuflischen Priester abgeschüttelt zu haben, waren die Geräusche der Verfolger wieder ganz nah. Aber es waren
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