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Das Sternenprogramm

Das Sternenprogramm

Titel: Das Sternenprogramm
Autoren: Ken MacLeod
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Rauchender Schütze
     
     
    Es war heiß auf dem Dach. Der Himmel hatte es eilig: zu
Flotten geordnete Zeppelinwolken wechselten sich mit
zerfledderten schwarzen Fahnen ab. Funkelnde Sterne,
Militär- und Kommunikationssatelliten, Meteore, Müll.
Moh Kohn hockte hinter der Brüstung und musterte die einen
halben Kilometer entfernte Baumreihe am Rande des Campus. Die
VR-Brille machte die Nacht zum Tag. Er hielt das Gewehr locker in
der Hand, schwenkte es hin und her, bewegte sich, um sich zu
beruhigen. Die im Mauerwerk aufgespeicherte Wärme reichte
als Deckung aus, sie schützte ihn vor Infrarotbeobachtung
und den VR-Brillen.
    »Gaia, ist es heiß«, murmelte er.
    »Einunddreißig Grad Celsius«, antwortete das
Gewehr.
    Er hörte dem Gewehr gerne zu. Es vermittelte ihm das
Gefühl, vernetzt zu sein. Bloß eine Textanzeige, doch
er hörte sie mit den Augen.
    »Womit kriegen wir’s heut Nacht zu tun? Mit
grünen Spinnern oder mit Saboteuren?«
    »Beginne Suche.«
    »Stopp.« Er wollte nicht, dass es eine
wohlbegründete Vermutung aus seinem Speicher hervorkitzelte;
er wollte, dass es die Augen aufmachte. So wie er
ständig nach den zwei Bedrohungen für seine Klienten
Ausschau hielt: nach denen, die in allem, was smarter war als ein
Taschenrechner, eine Bedrohung der menschlichen Rasse sahen, und
nach denen, die alle Wesen mit einem Zentralnervensystem für
ein ehrenhaftes Mitglied derselben hielten.
    Er suchte das betonierte Vorfeld, die Begrenzungsmauer und die
Bäume jetzt seit drei Stunden ab, seit 21 Uhr. Um zwei kam
die Ablösung. Und dann wäre nicht bloß seine
Schicht zu Ende, sondern sein Dienst; er könnte sich eine
ganze Woche lang erholen. Nachdem er sieben Nächte lang in
die Dunkelheit gestarrt hatte, nervös und schreckhaft
geworden von den Gerüchten, Falschmeldungen und Fehlalarmen,
musste er dringend einmal ausspannen.
    Musik, Gelächter und Stimmenlärm wirbelten zwischen
den hinter ihm liegenden Gebäuden, bisweilen laut, wenn die
vorbeijagenden Luftmassen eine Bö zum Boden sandten, dann
wieder – so wie jetzt in der schwülen Stille –
ganz leise. Er hätte gern an der Party teilgenommen. Wenn
sich in dieser Schicht kein Angriff ereignete… verdammt
noch mal, und selbst wenn. Er durfte sich bloß nicht
erwischen lassen. Das Ganze zu verarbeiten war etwas anderes, und
es wäre nicht das erste Mal, dass er die gespenstisch-grauen
Erinnerungen an den Nachtkampf und die Falschfarben
abkühlenden Bluts mit Alkohol und Tanz und vor allem mit Sex
ausgelöscht hätte – die umfassende Medizin, die
Antithese und das Gegenmittel für Gewalt – mit dem
gleichen Ergebnis.
    Irgendetwas regte sich. Kohn erstarrte, konzentrierte sich auf
eine Stelle zu seiner Linken, wo er die Bewegung bemerkt
hatte… Da war es wieder, dort, wo die Büsche zwischen
den Bäumen hervorlugten. Angriffstarnung. Er schaltete den
Inertialspeicher der Waffe ein, schwenkte sie umher, schaltete
den Restlichtverstärker drei Stufen hoch. Nichts zu sehen.
Vielleicht war das die Großoffensive. Er wandte sich
zurück, und als er die markierte Position anvisierte,
stoppte das Gewehr seine Hand.
    Da waren sie. Zwei, drei – Zoom, näher heran
– vier, gebückt vorrückend. Zwei mit
Gewehren, die anderen schleppten eine Last. Die extrapolierte
Verlängerungsgerade ihres Zickzackkurses wies auf das
Aleksander Institut. Auf den AI-Trakt.
    Dann also Saboteure. Keine Bedenken.
    »Tu’s für Big Blue«, meinte er zum
Gewehr. Er machte sich möglichst klein hinter der
Brüstung, hielt das Gewehr unbeholfen hoch und zielte anhand
des Brillendisplays. Er drückte die Enter-Taste. Die Waffe
übernahm die Kontrolle; sie führte seine Hand. Im
nächsten Moment zeigte die in seine Brille einprojizierte
Anzeige vier reglos auf dem Boden liegende Gestalten, gestapelt
wie X- und Y-Chromosomen.
    »Ziele paralysiert.«
    Was sollte das? Kohn überprüfte die scrollende
Anzeige. Das Gewehr hatte fünf Hochgeschwindigkeits-
HFP-Ladungen abgefeuert –
Hautkontakt-Flüssig-Pentothal. Es hatte die Saboteure
betäubt. Er hätte schwören können, dass er
auf Metallpatronen geschaltet hatte.
    »HED detektiert. Timer läuft. Anzeige: 8.05…
8.04… 8.03…«
    »Ruf den Sicherheitsdienst!«
    »Wurde übermittelt.«
    Kohn spähte über die Brüstung. Zwei Gestalten
in schussfesten Anzügen rannten über den Rasen auf die
bewusstlosen Angreifer zu. Er schaltete den
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