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0039 - Turm der Verlorenen

0039 - Turm der Verlorenen

Titel: 0039 - Turm der Verlorenen
Autoren: Michael Kubiak
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Welt, in der sie den Frieden finden würden, der ihnen so lange versagt worden war.
    Zamorra winkte ihnen zu, schickte in seinen Gedanken einen Gruß hinter der Schar her. Dann wurde seine Aufmerksamkeit von etwas anderem gefesselt. Lautlos und in Zeitlupentempo sackten die Mauern der Burg auf dem Felsenturm nach innen. Es war, als ob eine Riesenfaust zupackte und die Burg des Grauens vernichtete. Bald war nicht mehr zu erkennen, dass dort oben einmal ein Gebäude gestanden hatte, das von Menschenhand erbaut worden war. Und mit dem Schloss mussten auch Mordius und Radu ihr Ende gefunden haben.
    Zamorra wandte sich um und ging mit müden Schritten auf das Dorf zu, das noch immer völlig ausgestorben war. Er musste seine Ausrüstung finden und sich dann bemühen, rechtzeitig am ausgemachten Treffpunkt zu sein, wo man ihn abholen und nach Bukarest zurückbringen würde.
    Er brauchte nicht lange zu warten. Mit der heraufziehenden Morgendämmerung erreichte er die Stelle, und bald schon hörte er in der Ferne das Motorengebrumm eines sich nähernden Wagens…
    ***
    Als der Fahrgast vor dem Flughafen Orly in seinen Wagen eingestiegen war und der Taxifahrer nach dem Ziel gefragt hatte, wollte er zuerst seinen Ohren nicht trauen. Noch nie hatte jemand eine solche Entfernung zurücklegen wollen. Immerhin waren die Taxigebühren nicht gerade niedrig.
    Die ganze Fahrt über hatte der Fahrgast kein Wort gesprochen. Offensichtlich tief in Gedanken versunken hatte er auf der hinteren Sitzbank gesessen und keine Anstalten gemacht, ein Gespräch anzufangen.
    Erst als sie sich dem Loiretal näherten, war der Fremde lebendiger geworden. Er hatte hinausgeschaut und die Landschaft in sich aufgenommen, als wäre er nach langer Verbannung endlich wieder in seine Heimat zurückgekommen. Der Taxifahrer hatte gar nicht zu fragen gewagt, wer der Fremde war und woher er kam. Der Ausdruck seiner Augen hatte ihm genug verraten. Der schlanke, hoch gewachsene Mann musste Schreckliches erlebt haben.
    Vor einem malerischen Schloss, dem Château de Montagne, hatte er ihn dann abgesetzt. Der Mann hatte bezahlt und ihm ein reichliches Trinkgeld gegeben. Was sollte es also, dass er sich noch weiter Gedanken machte. Es war eine Tour gewesen wie viele andere, nur eben etwas länger.
    ***
    Rafael Bois öffnete die Tür, kaum dass Zamorra die letzte Stufe der Treppe zum Eingang erreicht hatte. »Monsieur Zamorra, wo kommen Sie her? Wir sind sehr in Sorge. Vor einer Stunde ist Mademoiselle Duval hier eingetroffen. Sie war sehr erstaunt, Sie hier nicht anzutreffen.«
    Zamorra versuchte ein krampfhaftes Lächeln. »Ist schon gut, Rafael. Hat sie sonst noch etwas gesagt? War sie vielleicht schon in der Bibliothek?«
    Rafael Bois, der Diener, schüttelte würdevoll den Kopf. »Nein, Monsieur. Im Moment ist Mademoiselle Duval noch auf ihrem Zimmer und packt die Koffer aus.«
    Das genügte. Zamorra dachte an den Brief, den er in der Bibliothek auf seinem Schreibtisch liegengelassen hatte und stürmte mit Riesenschritten ins Haus. Er jagte die breite Treppe hoch und gelangte auf den Flur, der zur Bibliothek führte.
    Gott sei Dank, der Brief lag unberührt auf seinem Platz. Zum Schreibtisch springen, den Brief aufnehmen und in der Innentasche seines Sakkos verschwinden lassen, war ein Werk von Sekunden.
    Und da erklangen auf dem Gang schon Schritte. Wie ein Kind, das man beim Naschen ertappt hat, fuhr der Professor herum.
    In der Tür stand Nicole Duval, die Frau, die ihm im Laufe der Zeit, die sie bei ihm war, nicht mehr nur Assistentin war, sondern auch Geliebte, deren Bild er immer in seinem Herzen trug. »Habe ich doch richtig gesehen. Der große Meister persönlich. Aber warum mit einer Taxe?«
    Nicole Duval breitete die Arme aus und flog förmlich auf den Professor zu. Sie umschlang seinen Nacken und zog seinen Kopf zu sich herunter. Ein Zittern durchlief Zamorras Körper, als er die kühlen Lippen seiner Freundin auf den seinen spürte.
    Es dauerte einige Sekunden, bis sie sich voneinander lösten. Sie schauten sich tief in die Augen. Nicole Duval brach als erste das Schweigen. »Nun erzähl mal, was ist denn in der Zwischenzeit hier los gewesen. Hat es etwas Besonderes gegeben?«
    Zamorra grinste jungenhaft. In gespieltem Nachdenken runzelte er die Stirn. »Nein, ich glaube nicht. Etwas Besonders auf keinen Fall. Eigentlich war in den letzten Wochen ein Tag wie der andere.«
    ENDE
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