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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
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bat, Frau Lania schonend von dem bevorstehenden Besuch des Professors in Kenntnis zu setzen. Leore Lania, stürmisch ans Telefon stürzend, mit Erich von Mollzahn: Er wäre der Beste, und überhaupt der einzige, der – und es stünde physisch nicht ganz so schlimm, aber psychisch auf Null minus – und sie sollten kommen – schnell – schnell …
    Peter Karbon mit Leore. »Morgen, Pittjewitt. Ich habe schlechtes Gewissen. Ich komme nachher mit dem Chirurgiebonzen hinaus, darf ich? Hast du geschlafen? Darf ich kommen?«
    Herzklopfen auf der andern Seite. Sehr kühle Antwort: »Meinetwegen. Wenn du Zeit hast …?«
    Anruf bei Doktor Persenthein, mitten in der Sprechstunde: »Hier Doktor Raiffeisen, Berlin. Ich bin auf Wunsch meines Freundes Michael Karbon nach Lohwinckel gekommen, um nach unsern Verunglückten zu sehen, und wollte mich zunächst mit Ihnen in Verbindung setzen, Herr Kollege, da Sie als behandelnder Arzt …«
    »Wer ist dort?«
    »Doktor Raiffeisen, Berlin.« (Nicht Geheimrat, nicht Professor.) »Da meine Zeit beschränkt ist und ich Ihre Patienten natürlich nicht allein aufsuchen möchte, wäre es sehr liebenswürdig, wenn Sie mich noch vor Tisch zu der Dame begleiten könnten. Es ist, wie gesagt, nur ein Wunsch meines Freundes Michael Karbon, Sie wissen, der Bruder von Peter Karbon. Ich bin überzeugt, daß Sie, Herr Kollege, alles getan haben, was zu tun war. Ich weiß nicht, ob Ihnen mein Name geläufig ist. Raiffeisen. Vielleicht ist Ihnen gelegentlich mein Kompendium der kosmetischen Chirurgie unter die Nase gekommen …«
    Doktor Persenthein ließ seinen Patienten stehen, es war wieder einmal eines von den Kaninchen, der Arbeiter Lingel, der trübselig und ergeben neben dem Schreibtisch hockte und sein entartetes Zahnfleisch vorwies. Doktor Persenthein bekam Trommelfeuer in seiner Brust, die hohl und groß geworden war. Er schmiß den Kittel von sich, er wusch die Hände, er zog die Windjacke an, er zog die Windjacke aus und suchte ein würdigeres Kleidungsstück, er schrie nach Elisabeth, und als sie auf die Treppe kam, war er nicht fähig ihr das Ereignis zu erklären, er umarmte das Rehle, er stieß sich den Ellbogen an der Tür des Verschlages, er hatte Angst, Höllenangst wie vor dem Staatsexamen, er rannte davon, er kam zurück, er hatte die Tasche vergessen, er stopfte Papiere hinein, schob davon, er trompetete in die dunstige, wartende Diele, daß heute keine Sprechstunde sei, vormittag nicht und nachmittag auch nicht – und alles in allem und bei größter Eile dauerte es zwölf Minuten, bis er unterwegs war, um die Kapazität im ›Weißen Schwanen‹ zu begrüßen. Die Kapazität, von der er zuweilen geträumt hatte und die nun in voller Wirklichkeit in Lohwinckel eingetroffen war – obwohl der Ententümpel hinter der Kirche lag und abends die Ziegen durch den Ort getrieben wurden …
    »Und Sie haben das Glück gehabt, ohne die geringste Verletzung davonzukommen?« fragte der Geheimrat Peter Karbon in der Gaststube des ›Weißen Schwanen‹.
    »Ein paar Kleinigkeiten, Herr Geheimrat, nicht der Rede wert. Die Schulter ausgerenkt, zwei Rippen gequetscht, eine leichte Gehirnerschütterung; aber es ist alles wieder heil.«
    »Tatsächlich?« bemerkte der Geheimrat; er sprach bayrischen Dialekt, was er durch äußerst druckreife Satzbildungen wieder ausglich. »Schließen Sie mal die Augen. Stehen Sie still. Sehen Sie geradeaus. Sehen Sie auf meinen Finger, so, jetzt hierher. Und nun …« Er hielt dem zusammenzuckenden Karbon eine grelle Taschenlampe vor die Augen. Aber die Reflexe waren alle in Ordnung. »Na schön. Gut. Ausgezeichnet«, sagte der Geheimrat. »Man kann Ihnen gratulieren, daß bei dem ganzen Malheur nichts Ernsthaftes passiert ist.«
    »Mein Schofför ist ums Leben gekommen, Herr Geheimrat«, sagte Peter Karbon einsilbig.
    »Ach ja – in der Tat«, murmelte der Chirurg, der gewöhnt war, Beileidsbezeigungen zu äußern.
    Karbon schwieg. Fobiankes beflissener und pflichtgetreuer Schatten geisterte in dieser Stummheit durch die Gaststube. Er hatte so leise gelebt, Fobianke, mit den Händen am Steuerrad, mit gezogener Mütze am Wagenschlag, nachts wartend vor Häusern, in denen sein Herr zigeunerte, planmäßig in der Schnelligkeit, überschauend im Gewühl. Karbon spürte noch den Griff, mit dem ihm sein Schofför die Pelzdecke über die Knie legte. Später hatte Fobianke eine Tankstelle haben wollen, ein kleines Haus und einen Gemüsegarten, alles
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