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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
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roch. »Was haben wir nun in Lohwinckel, nachdem alles vorüber ist? Die Arbeiter zum Beispiel haben eine kleine Lohnerhöhung durchgesetzt, aber noch immer nicht den früheren Tarif. Und die Buben im Gymnasium sollen jetzt rauchen dürfen, jawohl, Putex hat nachgegeben – aber nur sonntags und nicht öffentlich. Raitzolds bleiben auf dem Gut, hört man. Wie lange aber? Bis zum nächsten Zinsentermin. Herr Profet ist ein bißchen geduckt, ein bißchen, Frau Doktor, nicht richtig. Es sind diese halben Dinge, die einem das Leben verleiden. Kein ganzes Glück, kein ganzes Unglück. Darf ich um das A bitten, Frau Doktor?«
    Elisabeth schlug den Ton an, erst das A allein, dann den ganzen D-moll-Dreiklang, er war etwas verstimmt und klang mehr ärmlich als traurig. Sie drehte sich halb zu Markus zurück und sagte: »Das Klavier muß nächstens gestimmt werden.« Es war ein Satz, den sie schon hundertmal gesagt hatte. Immer, wenn sie zu musizieren begann. Markus hörte gar nicht darauf.
    »So eine Lania, zum Beispiel«, sagte er; »jetzt wird sie nie mehr so schön wie vorher. Aber doch auch nicht häßlich, nicht so ruiniert, daß man es tragisch nehmen könnte. Ich habe mich halb und halb in sie verliebt, da denkt man über so etwas nach. Halb und halb, sehen Sie, da ist es wieder. Alles halb und halb. Und nur dieser arme Fobianke ist ganz gestorben, voll und ganz, wie diese Idioten im ›Düßwalder Anzeiger‹ immer schreiben. Ich dachte, unsere Brahms-Sonate, die Meistersinger-Sonate in A, Frau Doktor?«
    Und Herr Heinrich Markus nimmt seine Geige mit dem Zimt-und-Kaffee-Tuch unters Kinn und neigt seinen kurzsichtigen, klugen, sensiblen Judenkopf über das tröstliche schwarze Gewimmel der Noten. »Ich bin ein bißchen aus der Übung«, sagt Frau Doktor Persenthein und schaut ihre Hände auf den Tasten an. Sie hat noch eine kleine Wunde da von einem ungeschickten Manikürversuch.
    Die Kirchenuhr schlägt fünf, sie tut es um zehn Minuten zu spät. Während Markus seine Quinten anstreicht, fährt unten ein Auto vorbei und durch den Angermannsturm zur Stadt hinaus. Es kann ein bestimmtes Auto sein oder ein anderes, irgendeines. Elisabeth möchte ans Fenster gehen, aber sie tut es nicht, sie hält sich an den Tasten fest, bis das Auto vorüber ist. Das Haus zittert schwach, Mörtel rieselt.
    Frau Persenthein steht nachher doch noch auf, nimmt das Staubtuch hervor und wischt vernünftig das kleine Häufchen Kalkstaub auf. Sie lächelt dazu; es ist nicht allzu schwer, zu lächeln.
    »Es ist nett von Ihnen, daß Sie heute gekommen sind, Markus«, sagt sie und setzt sich wieder ans Klavier.
    Mit einem halblauten A-Dur-Akkord nimmt das Leben seinen Fortgang.
     
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