Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
Sie das überhaupt, Frau Doktor? Viel zu schade für hier, der Mann. Da muß einmal Dampf dahinter gemacht werden – es muß sich doch, verflixt noch einmal, ein Platz finden lassen, und wenn's nur eine Assistenz an einer anständigen Klinik ist, da kriegt er doch Material unter die Hände, da kann er doch arbeiten. Es ist nicht immer ein Honiglecken, wenn man's mit so einem Kerl zu tun hat, nicht wahr, Frau Doktor? Kann ich mir denken. Aber das sind die Leute, die wir brauchen. Kämpfer brauchen wir, Denker brauchen wir, Leute, die lieber verrecken als vom Gedanken ablassen. Der Gedanke – jawohl, das ist es«, sagte er und hob seinen Dozentenfinger hoch. »Der Gedanke ist ein unerbittlicher Herr, Frau Doktor, und macht harte Menschen. Von den andern gibt's genug, solche Blender, solche Genießer, solche Karbons – genug; sympathische Leute, jawohl. Aber sie helfen uns nicht voran. Solche wie der Herr Kollege, die sind es, die uns vorwärtsbringen. Aber die sind rar. Die – Hochachtung, Frau Doktor! Danke für die liebenswürdige Bewirtung. Es wird Zeit zum Abmarsch.«
    Elisabeth war nicht in der Verfassung, viel zu antworten. Sie hörte auch nicht alles. Sie stand mit ihrem höflichen Hausfrauenlächeln tapfer auf dem Posten, bis der Geheimrat das Angermannshaus verlassen hatte. Doktor Persenthein begleitete seinen zelebren Gast noch, er konnte sich nicht von den Gesprächen trennen, die ihm nach jahrelangem Hungern da zuteil wurden. Das Rehle, an der Hand des Geheimrats hängend, schloß sich mit großer Selbstverständlichkeit an.
    Elisabeth blieb benommen zurück. ›Was nun? Was nun? Was nun?‹ fragte ihr müde klopfendes Herz. Sie suchte auf dem Fußboden die Lungaussche Krankengeschichte zusammen und legte sie sauber wieder in die Schreibtischlade. Sie schob den Lehnstuhl unter die Tür, zwischen das Schlafzimmer und Rehles Kammer. Es war sehr still im Haus, niemand atmete, niemand. Sie dachte ein wenig darüber nach, ob die Begeisterung des Geheimrats nur durch die Tabellen entstanden war oder ob das Sonnentreppchen ein wenig mitgewirkt hatte. Es klang alles ein wenig sonderbar, was er gesagt hatte, aber es hatte doch ein kleines, entferntes Licht angezündet. ›Kola. Kola?‹ dachte sie; sie rief es in sich hinein, wie auf der Suche nach jemandem, der verloren gegangen war. Sie stand auf, ging ins Ordinationszimmer hinunter, dort war Kolas Luft und Kolas Arbeit und Kolas Wesen eingefangen. Sie stand vor dem Sterilisator, sah ihr Gesicht verzerrt von dem Nickel widergespiegelt und versuchte nachzudenken, aber noch war keine Ordnung in ihr. ›Das kommt wieder‹, tröstete sie sich selber. Sie trug das Tablett hinaus, spülte die Kaffeetassen, trug ein paar Zahlen ins Haushaltsbuch ein. Sie ging in den Keller, scheuchte die Spinne Kathrinchen in ihre Ecke, fegte die Spinnweben fort und putzte die blind gewordenen Metallgriffe. Die Zeit verging, sie verging, verging. Man konnte auf ihr so sacht davontreiben wie auf einem Fluß; morgen, in einer Woche, in einem Monat, in einem Jahr war alles anders und vielleicht wieder besser. Frau Persenthein ging hinauf und suchte Flickwäsche zusammen, es war viel liegengeblieben in dieser Woche.
    Es klingelte.
    Nein, es war nichts, was den letzten, zuckenden und freudigen Schreck quer durch Brust und Stirn verdiente. Unten stand Markus mit dem Geigenkasten in der Hand.
    »Guten Abend, Frau Doktor«, sagte er einfach. »Ich dachte, es wäre ein Nachmittag zum Musikmachen.«
    »Wieso denn?« fragte sie.
    »Ach – ich dachte es nur. Es läßt sich nicht so ausdrücken. Ich dachte: Musik ist gut.«
    »Ja –?« fragte sie zweifelnd, aber nicht undankbar für Markus' Gegenwart, und ging ihm voran die Treppe hinauf zum Wohnzimmer.
    »Sehen Sie, Frau Doktor, ich sah vorhin das Auto. Sie sind alle zusammen aufs Gut hinausgefahren, um die Lania abzuholen, Ihr Mann war auch dabei. Ich dachte, daß Sie allein zu Hause sind und vielleicht Langeweile haben. Die fahren nun alle weg, und wir bleiben da. So viel Aufwand, so viel Unruhe, und dann bleibt nichts übrig davon, das macht ein bißchen traurig. Ich dachte – es ginge Ihnen auch so. Ich dachte, es hätte Sie vielleicht auch gestreift …«
    »Nein«, sagte Elisabeth und schloß sich zu; aber sie öffnete zugleich schon das Klavier.
    »So viele halbe Resultate«, sagte Markus und begann seine Geige auszupacken, erst aus dem Kasten und dann aus einem zimtroten Seidentuch, das sonderbarerweise nach Kaffeebohnen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher