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Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)

Titel: Glücksspiele: Kollers sechster Fall (German Edition)
Autoren: Marcus Imbsweiler
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1
     
    »Herrschaftszeiten!«
    Der Mann,
der das sagte, saß rechts von mir.
    Ich tat,
als hätte ich nichts gehört.
    »Eine Augenweide,
diese Frau, nicht wahr?«
    Jetzt blinzelte
ich.
    Aber ganz
vorsichtig! Der Satz war in meine Richtung gesprochen worden, eine von diesen inhaltsleeren
Bemerkungen, mit denen Gespräche beginnen. Ich hatte keine Lust auf ein Gespräch.
Wir waren in Karlsruhe, und in Karlsruhe ödete mich alles an: die Stadt, mein Auftrag,
die Gesichter der Athleten, die Stimme des Hallensprechers, sogar der Geruch nach
Bockwurst, obwohl ich sonst nichts gegen Bockwurst habe. Von irgendwo zog es. Aber
das Schlimmste waren die Plastiksitze mit ihrem Dauerquietschen.
    »Nicht wahr
…?«, hallte es in meinem Ohr nach.
    Ich ließ
ein unentschiedenes Brummen hören.
    »Ihren Laufstil
meine ich nicht«, fuhr mein Nachbar fort. »Den können Sie vergessen. Sie fällt sogar
ein wenig ins Hohlkreuz, wenn sie läuft. Aber die Power in ihren Beinen! Da kann
ihr keine das Wasser reichen. In ganz Deutschland nicht!«
    Ich gähnte.
War noch nicht einmal Absicht, dieses Gähnen, aber wenn der Typ es als Zeichen für
meine Gesprächsunwilligkeit verstand, umso besser.
    Tat er nicht.
    »Frequenz,
Schrittlänge, Fußabdruck«, leierte er herunter. »Da ist sie eine Klasse für sich,
die Katinka. So was kann man nicht trainieren, höchstens bis zu einem gewissen Grad.
Das hat man, oder man hat es nicht.« Nach dieser Bemerkung fuhr er sich über das
Kinn. Ich hörte, wie es unter seinen Fingern knisterte.
    Unten auf
der Kunststoffbahn spulte Katinka ihre Runden ab. 15 sollten es am Ende sein, wenn
ich richtig gerechnet hatte. Ein Einladungsrennen über 3000 Meter. Sie lief in einer
größeren Gruppe, aber schon fielen hinten die Ersten ab, bemitleidenswerte Jugendliche,
bei denen die Haut über den Hüftknochen spannte. Einzelne Anfeuerungsrufe gellten
durch die Halle, ein paar Leute klatschten.
    »Sie hat’s
wirklich drauf«, murmelte der Mann rechts von mir.
    Murmel du
nur. Wäre ich nicht zu faul gewesen, hätte ich mir längst etwas zu essen geholt.
Außer der Bockwurst gab es Fritten und Käsebrötchen und Laugenstangen. Und eine
Art Salat, wir befanden uns schließlich bei einer Laufveranstaltung.
    »Sind Sie
ihr Trainer?«, kam es von der Seite.
    Sofort schnellte
mein Kopf herum. Herrschaftszeiten! Was war denn das für eine Frage! Wahrscheinlich
gab es in der gesamten Europahalle keinen einzigen Menschen, die dicke Bockwurstverkäuferin
einmal ausgenommen, der weniger Ähnlichkeiten mit einem Leichtathletiktrainer hatte
als ich. Warum fläzte ich mich wohl so gelangweilt auf den Plastikschalen herum?
Desinteresse, dein Name ist Koller!
    Mir lag
bereits eine entsprechende Antwort auf der Zunge, als ich das Grinsen des Fragestellers
bemerkte. Den Ansatz nur eines Grinsens: schmale Lippen, in den Mundwinkeln Spott
und ein Hauch von Überlegenheit. Schau an, der Kerl wusste ganz genau, dass ich
nicht Katinkas Trainer war! Er wusste es, der Schuft, und wollte mich bloß aus der
Reserve locken.
    »Ich bin
ihr Mentaltrainer«, erwiderte ich, ohne mit der Wimper zu zucken. Was du kannst,
kann ich schon lange! »Schnelle Beine sind angeboren, da gebe ich Ihnen recht. Aber
die Power im Kopf, die erfordert Training. Hartes, intensives Training. Seit ich
mit Katinka arbeite, hat sie einen Gehirnmuskel wie der Bizeps von Schwarzenegger.«
    Sein Grinsen
wurde breiter. Es reichte jetzt über das ganze Gesicht, wobei dieses Gesicht ziemlich
schmal war, so weit kam er mit seinem Grinsen also nicht. Hoch oben auf seinem langgezogenen
Schädel stoppelte blondes Haar, die faltige Haut leuchtete in Mittelmeerurlaubsbraun.
Anfang März, wohlgemerkt. Und da war noch etwas, eine Besonderheit, die mir auffiel,
ohne dass ich sie auf Anhieb hätte benennen können. Irgendwie sah der Typ seltsam
aus.
    »Sie wird
also gewinnen?«, sagte er und nickte in Richtung Laufbahn. Er kaute die Worte regelrecht
durch, bevor er sie, immer noch grinsend, in die Freiheit entließ.
    »Nö.«
    »Nein?«
    »Dann gäbe
es ja nichts mehr zu tun für mich. Außerdem hat sie einen scheiß Laufstil, sagen
die Experten.«
    Das entlockte
ihm ein Lachen, wenn auch nur ein kleines. Anschließend wandte er seine Aufmerksamkeit
wieder dem Rennen zu. Eine Weile herrschte Stille zwischen uns. Unten hatten die
Läuferinnen die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht, der Rundenzähler drehte
auf 7. Katinka, die noch ganz locker wirkte, hielt sich stets an dritter,
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