Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
Vom Netzwerk:
wußte selber nicht, wie flehend das aussah.
    »Nimm doch den Hut ab«, sagte er leise, und dann nahm er selber ihr den Hut vom Kopf, strich auch über ihr Haar, das an diesem Tag weniger Glanz hatte als sonst.
    »Ich wollte Ihnen sagen: Das von gestern gilt nicht«, sagte sie und lächelte noch immer.
    »Aber Elisabeth – was denn –«
    »Das alles gilt nicht. Was wir besprochen haben – gilt nicht«, flüsterte sie. »Ich komme hier nicht los –«
    »Nein?« fragte er gedankenverloren und schaute sie an. Erst hinterher besann er sich auf Heftigkeit und Widerspruch. »Du mußt aber loskommen«, sagte er und hatte gar keinen Schwung. Er stimmte die Arie der vergangenen Nacht an. »Du kommst mit mir, du bleibst bei mir, wir werden unsinnig glücklich sein, Elisabeth«, versuchte er. Es waren falsche Töne dazwischen wie bei einer alten Drehorgel; er verstummte.
    Sie waren am Rand des Ententümpels angelangt, der kraus unter dem Wind lag, zinngrau glänzend. Eine karmesinrote leere Streichholzschachtel schwamm darauf. Am andern Ufer traf der Straßenkehrer Schmittbold eine tief herbstliche Veranstaltung: Er hatte die kleinen Hügel nassen Laubes angezündet, sie brannten nicht, sie glosten nur.
    Karbon umfaßte heftig Elisabeth, um sie zu küssen, ihren Filzhut trug er noch in der Hand.
    »Nicht!« rief sie leise und zeigte erschreckt zu dem Mann hinter seinem Laubhaufen hinüber.
    Karbon sah sich nach allen Seiten um, er zog Elisabeth zurück in den Kreuzgang. Hinter einer kurzen Säule, die uralt und plump ohne Sockel aus dem Boden wuchs, nahm er sie in die Arme. Dann standen sie beide still und hielten den Atem an, als horchten sie auf etwas, als erwarteten sie etwas, das nicht kam – bei ihr nicht, bei ihm nicht. Er suchte auf ihrem Mund noch den berauschten Geschmack der vergangenen Nacht, als sie sich schon von ihm löste.
    »Siehst du«, sagte sie ernsthaft, und das klang überaus kindlich, »es ist schon vorbei.« Sie lächelte noch immer. »Wie verrückt man sein kann, nicht?« sagte sie. »Gib mir meinen Hut. Ich muß nach Hause.«
    »Was soll denn jetzt sein? Wie geht’s denn weiter?« fragte er.
    »Jetzt packst du ein und reist ab. Um fünf Uhr fahren sie mit dem Auto fort«, sagte sie, während sie schon zu gehen begann, durch den Kreuzgang, um die Kirchenecke und über die Hauptstraße, wo jeder sie sehen konnte.
    »Ist es dir denn lieber, wenn ich abreise?« fragte er.
    »O ja«, antwortete sie und nickte mit dem Kopf dazu.
    »Schön. Dann reise ich. Aber das bedeutet nichts. Ich schreibe dir. Ich hole dich doch noch, Elisabeth.«
    Sie hörte ihm ernsthaft zu. ›Jetzt‹, dachte sie immerfort, ›Jetzt, jetzt, jetzt.‹ Einen Augenblick lang tat es tödlich weh, tödlich. ›Das ist ja wie Sterben‹, dachte sie, während sie immer weiterging und mit einer sinnlosen und vertieften Aufmerksamkeit diesen Schmerz verfolgte, der sich in sie hineingrub.
    »Nicht weiter. Genug. Ich möchte in die Kirche«, sagte sie plötzlich. Sie konnte nun nicht mehr. Sie ließ ihn einfach stehen, mitten unter dem Portal mit den steinernen Engeln, deren barocke Pausbacken er ratlos anstarrte. Er hatte so zwingend das Gefühl, wie unmöglich es war, ihr in die Kirche zu folgen, daß er zunächst mit gekränktem Ausdruck stehenblieb, wo sie ihn verlassen hatte.
    »Schön. Dann reise ich eben«, sagte er sodann laut und bockig, zögerte noch und wanderte dann durch den staubigen Wind hinüber zum ›Weißen Schwanen‹.
    ›Das war doch kein Abschied –‹, dachte er. ›Wie rührend sie gegen das Weinen angekämpft hat. Im Grund ist sie unerotisch. Man braucht ungeheuren Schwung, um Frauen dieser Art auf der Höhe zu halten. Ich weiß nicht, ob ich – – –‹
    Es gab für Elisabeth Persenthein nur zwei Orte, an denen sie sich ungestört ausheulen konnte: den Seitenaltar mit der Mutter Gottes in der Kirche und den Verschlag im Angermannshaus. Ihre Wimpern glänzten noch feucht, als sie heimkam. Im Sprechzimmer saßen die beiden Doktoren und hatten unheimliche Mengen von Zigarrenrauch fabriziert. Der triumphale Fall Lungaus bedeckte in Papierstößen den Schreibtisch, die Fensternischen, den Fußboden. Persenthein glühte von innen her, wie ein ewiges Licht. Auch die Kapazität machte einen illuminierten Eindruck.
    »Sie haben da einen fabelhaften Kerl zum Mann«, sagte der Geheimrat, als Elisabeth das Tablett mit Kaffee und Spritzkuchen hereinbrachte. »Einen Prachtkerl haben Sie da erwischt – wissen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher