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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
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und während sie beide dastanden und mit zurückgeschobenen Manschetten in der typischen Haltung aller Ärzte die Hände wuschen, die bei ihnen beiden etwas rauhe Haut hatten von allzu vielem Säubern und runde, kurzgehaltene Nägel, und während der Geheimrat sagte: »Die kleine Eiterung macht ja weiter nichts, Herr Kollege, aber wissen Sie, ich pflege solche Sachen mit Pferdehaar zu nähen und habe eigentlich immer gute Resultate damit gehabt. Ist übrigens nicht auf meinem Mist gewachsen, sondern vom Kollegen Zulauff empfohlen« – während der berühmte Mann so von Kollege zu Kollege sprach und zugleich verbesserte – da bekam Persenthein plötzlich Schwung und Mut und begann zu erzählen.
    Er erzählte alles auf einmal, von der Praxis, von dem Versanden im Winkel und der Auflehnung dagegen und von der Bleikrankheit; und dann, während sie in den Hof hinausgingen, immer auf und ab, an dem Gitter entlang, hinter dem Fräulein von Raitzolds Blumenzucht ihr herbstliches Leben fristete, kam er auf seine Idee zu sprechen, auf sein biologisches Prinzip der Umstimmung der Disposition durch diätetische Maßnahmen, auf die Angleichung des Organismus an Gefährdungen, auf den Fall Lungaus, auf die Tabellen, Notizen und Aufzeichnungen – von denen er einige in seine Tasche gerafft hatte und nun mit zitternden Fingern vorwies –, er berichtete von der geheilten offenen Flechte und dem abgeklungenen Schützengrabenrheumatismus, er erwähnte einige andere, wenn auch nicht ganz so stichhaltige, so doch hoffnungsreiche Fälle aus seiner Arbeiterpraxis in Obanger und kam sogar auf das Rehle zu sprechen, Rehle, geliebtes Objekt und blühendes Resultat seiner Gedanken über richtige Lebensführung. Und zuletzt, nachdem der Geheimrat auf seine altmodisch an langer, dünner goldener Kette befestigte Uhr gesehen und angegeben hatte, daß ihn dies alles interessiere, wärmstens interessiere und daß man mit dem Auto nicht vor fünf Uhr nachmittag abfahren würde, um den Abendzug in Schaffenburg zu erreichen, bat Doktor Persenthein in einem äußersten Aufschwung den berühmten Kollegen ins Angermannshaus zu Gast, erstens zum Essen und zweitens, um ihm gründlichen Einblick in seine Arbeit zu geben.
    Nicht nur hatte der Geheimrat den Artikel von Doktor Wolland in der Medizinischen Wochenschrift gelesen, er war auch ein Duzfreund jenes Professors Mehl, der die Freiburger Schule begründet hatte, auf die Wolland sich mehrfach bezog. Und er fand es durchaus nicht tragisch, ganz und gar nicht schlimm, daß man dort im großen die gleiche Therapie versucht und die gleichen Resultate gezeitigt hatte wie Doktor Persenthein hier so mühevoll im kleinen und in aller Stille. Er verstieg sich sogar zu wärmeren Worten: »Im Gegenteil«, sagte er, »Hut ab. Alle Achtung vor einem Arzt, der unter solchen Umständen eigene Wege geht. Bravo, Persenthein! Solche Leute brauchen wir. Wenn Ihre Resultate stimmen – ich werde mit Wolland sprechen. Assistenz kann man immer brauchen. Wenn Ihre Resultate stimmen –«, und dann erklärte er sich bereit, im Angermannshaus zu essen und Einblick in den Fall Lungaus zu nehmen. Doktor Persenthein stürzte, illuminiert mit tausend Lichtern, in die Diele, an das Gutstelefon, um seine Frau von dem Gast für das Mittagessen in Kenntnis zu setzen. Der Geheimrat kehrte indessen in das obere Stockwerk zurück, um seine Tasche zu holen und sich von der Lania zu verabschieden.
    Er fand sie zwischen den beiden Männern an den merkwürdigen, riesigen Kachelofen gelehnt, der vom Korridor aus geheizt wurde. Man hatte zwar an diesem kühlen Tag ein Holzfeuer angesteckt, aber die Gaststube war ungemütlich geblieben, und sogar Fräulein von Raitzolds Rosen zeigten ein verfrorenes Aussehen in ihrer Vase. Die Lania sprach von ihren Augen. »Denk dir, Pitt«, sagte sie, »daß Erich nie bemerkt hat, daß meine Augen verschieden sind. Pitt hat das vom ersten Tag an gesehen, Erich. Pitt ist eben ein Homme à femmes. Das rechte ist grün, das linke ist braun. Ich halte ja mehr von dem grünen, aber das braune fotografiert sich besser. Ich drehe schon immer die linke Seite für die Aufnahme vor das Objektiv hin. Gott sei Dank ist es die Hälfte, auf der keine Narbe bleibt, kein pikanter Stecknadelkopf.« –
    Sie machte schon Späße über ihre Verwundung, und alles andere lag schon hinter ihr.
    Die Männer hörten zu.
    »Freut ihr euch denn?« fragte sie.
    »Ja«, gaben die Männer an, Mollzahn etwas übertrieben – im
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