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Zwischenfall in Lohwinckel

Titel: Zwischenfall in Lohwinckel
Autoren: Baum Vicki
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Schlesien, nicht die gräfliche Linie, sondern die andere mit den vielen Beamten und Oberförstern.
    Die Lania hatte geschwankt, welche von den zwei Masken sie tragen sollte, die zur Diskussion standen – anders konnte man ihre Vorbereitungen auf den Doktorenbesuch nicht bezeichnen. Erstens war es entscheidend, ach, in einem endgültigen und abgründigen Sinn entscheidend für sie, wie dieses große Tier, Geheimrat Professor Raiffeisen, über sie entscheiden würde. Dann aber lag ein heftiges Prickeln in der Erwartung, mit der sie dem Zusammentreffen mit Mollzahn und Karbon entgegensah. Verknotete Zustände dieser Art waren nun einmal das Element, in dem ihre erregungshungrige Seele sich wohl und zu Hause fühlte.
    Sie konnte sich häßlich, schlaff, hoffnungslos und mitleiderregend zeigen – mit der Aussicht, daß in den Männern einige bessere und schutzgebende Instinkte sich möglicherweise rühren würden. Oder sie konnte sich schminken, sich schön, straff, über den Dingen stehend und unzerstörbar präsentieren. Sonderbarerweise lagen die Möglichkeiten zu beiden Zuständen in ihr, und alles, was sie tat, war deshalb halbe Wahrheit und halber Schwindel. Wie allzu facettiertes Glas jedes Licht in viele Teile bricht und schillernd macht. Schließlich war sie vor den Spiegel gegangen und hatte alles an Schönheit an die Oberfläche ihres Wesens gezaubert, was sie während der Rekonvaleszenz auf dem Gut hatte versinken lassen. Das war – sie kannte Männer – dümmer, primitiver, aber leider sicherer. Sie hielt auch der Tür, durch die sie kommen mußten, die unverletzte Seite ihres Gesichtes entgegen und hatte die Genugtuung, auf allen vier Gesichtern der Eintretenden jenen Ausdruck zu sehen, den sie zu sehen wünschte. Sogar dieses hölzerne Stück von einem Landarzt schien sich zu beleben, als er sie zum erstenmal in voller Aufmachung erblickte.
    »Ich habe, gnädige Frau, niemals eine Schwerverletzte gesehen, der ihre Wunde so gut gestanden hätte wie Ihnen –«, sagte der Geheimrat denn auch sogleich in dem bezaubernden Ton, den er bei Luxusoperationen anwendete, und dann packte er seine Instrumente aus und begann mit der Sonde die kleine Naht abzutasten, von der an einigen Stellen schon der Schorf abgefallen war. Persenthein, den Gaumen kalt vor Aufregung, gab seine Erklärungen dazu. »Es ist vielleicht akademisch nicht richtig, daß ich die Wunde schon am vierten Tag freigelegt habe«, sagte er zum Beispiel. »Aber ich habe da meine eigenen Ideen, ich habe Erfahrungen über den rascheren Heilverlauf bei unverpflasterten kleinen Wunden gesammelt, die bestätigen – wenn Herr Geheimrat sich dafür interessieren würden – meine Idee nämlich –«, sagte er, und seine helle Kopfhaut wurde rot unter dem dünnen Haar.
    »Hm«, erwiderte der Geheimrat, der die eine, eiternde Stelle durch ein Monokel betrachtete, das eigentlich schon eine Lupe war und seinem schwachen linken Auge nachhalf. »Na«, sagte er, »mal sehen«, und: »Tja.« Nach diesem Tja entstand eine Pause, für die jede Zeitberechnung aufhörte und die Doktor Persenthein und Leore Lania mit dem gleichen Sturm von Angst und Herzklopfen und wilder Hoffnung anfüllten. Karbon und Mollzahn waren nicht mehr anwesend, ein höflicher Blick des Geheimrates hatte sie schon nach den ersten Begrüßungsworten hinausverwiesen, sie hockten unten bei Herrn von Raitzold in der Diele, tranken Gutswein und sprachen ungeduldig über das Wetter.
    Oben im Gastzimmer steckte der Geheimrat sein Monokel in.ein Lederfutteral und das Futteral in die Westentasche. »Gut«, sagte er. »Sehr schön. Ausgezeichnet. Prächtig. Es könnte gar nicht besser sein, gnädige Frau. In vier Wochen wird man überhaupt nichts mehr sehen. Vielleicht bleibt an der Nasenwurzel noch eine winzige Narbe, ein weißes Pünktchen, ein Stecknadelkopf, eine Pikanterie mehr in Ihrem pikanten Gesicht. Man kann Ihnen gratulieren – und meinem Kollegen auch. Wollen wir Ihre Freunde mal heraufrufen und ihnen erzählen, wie überflüssig wir uns Sorgen machten?«
    Da Doktor Persenthein plötzlich feuchte Finger bekommen hatte, scheute er sich, die Hand zu ergreifen, die ihm von der Kapazität hingehalten wurde.
    »Also sind Herr Geheimrat einverstanden – fanden Herr Geheimrat –?« stammelte er, während sie die Treppe hinuntergingen in Fräulein von Raitzolds Schlafzimmer, wo Wasser und Handtücher zum Händewaschen bereitstanden. Und hier unten, wo es halbdunkel und kalt war,
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