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Zwei wie wir: Roman (German Edition)

Zwei wie wir: Roman (German Edition)

Titel: Zwei wie wir: Roman (German Edition)
Autoren: Philip Tamm
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ich, dass die Veränderung für mich zu groß war. Der Typ, der morgens um neun ins Büro fuhr, mittags in der Kantine aß und dann ein paar Stunden Tetris am Arbeitsplatz spielte – das war ich nicht. Krise. Erst ich, dann wir. Unsere Beziehung. Inna sah es ein. So ging es nicht weiter. Mit mir nicht, mit uns nicht. Sie entschuldigte sich sogar.
    Ein halbes Jahr später kaufte ich das Café, auch im Hamburger Schanzenviertel, einem Stadtteil, der früher mal links und politisch war und heute bunt und szenemäßig. Zuvor war in den Räumen ein Schusterladen gewesen – deshalb der Name: Schuster’s. Es dauerte sechs Monate, bis der Gestank nach Leim und Leder ganz aus den Räumen verschwunden war und durch das Aroma von frisch geröstetem Arabica ersetzt wurde.
    Obwohl ich seitdem immer noch geregelte Arbeitszeiten und ganz normale Wochenenden habe – das Schuster’s hat nur von Montag bis Freitag und nur von halb neun bis halb sieben auf – , war ich doch wieder in die Schanze und in mein altes Leben zurückgekehrt. Ich war wieder ich selbst. Und ich war zugleich ein anderer geworden, Familienvater, verheiratet, Berufspendler. Genau die richtige Mischung.
    Fairerweise muss ich dazu sagen, dass das Modell nur funktioniert, weil Inna es subventioniert. Auf fünfzehn Quadratmetern lässt sich mit Kaffee nicht wirklich ein Vermögen machen, schon gar nicht, wenn die Kundschaft vorwiegend aus alleinerziehenden Müttern besteht, die drei Stunden lang an einem einzigen entkoffeinierten Soja-Latte nippen und sich von mir ihre Milupa-Glässchen anwärmen lassen. Und mit den anderen Bewohnern des Viertels, also den chronisch abgebrannten Künstlern, den Drogendealern, den Radikalen und den Obdachlosen lässt sich auch nicht unbedingt Geld verdienen. Aber immerhin gibt es noch die Studenten. Die haben immer Geld.
    » G uten Morgen, Bernd«, sage ich gut gelaunt, als um kurz vor neun Uhr der erste Kunde den Laden betritt.
    »Guten Morgen, Alex«, erwidert Bernd mit einer Stimme, als hätte ihn die CIA entführt und mit dreiwöchigem Schlafentzug gefoltert.
    »Was ist los? Alles in Ordnung?«, frage ich.
    »Du meinst, mit mir?«
    »Ich sehe sonst niemanden.«
    »Ach so. Ja, klar. Du willst also wissen, ob es mir gut geht.«
    Ich weiß natürlich, dass die Frage überflüssig ist. Bernd geht es nie gut, und es ist auch nie alles in Ordnung bei ihm. Für beides hat er gute Gründe. Bernd ist Vater einer Tochter, die er so gut wie nie sehen darf, er ist Internet-Programmierer, hat aber so gut wie nie Aufträge, und er ist Stammkunde im Schuster’s, hat aber so gut wie nie Geld, um seine Rechnung zu bezahlen.
    Und trotzdem mag ich ihn und serviere ihm jeden Morgen seine Latte macchiato und einen belegten Bagel.
    Es gibt viele Typen wie Bernd, die jeden Tag oder jedenfallsmehrmals in der Woche bei mir ihren Kaffee trinken. Die meisten von ihnen schleppen einen unsichtbaren Tornister voller Probleme mit sich rum – verkorkste Beziehungen, miese Jobs, geplatzte Träume, was weiß ich. Ich habe keine Schwierigkeiten damit, mir ihre Storys anzuhören, wir kennen uns, schätzen uns, und wenn es im Laufe der Jahre ein paar helle Momente in der Düsternis gibt, ist das doch eine ganze Menge. Natürlich bin ich ein Freak unter den ganzen Piraten und Schiffbrüchigen. Ich mit meinem intakten Familienleben, mit Inna, den Kindern, dem Haus, dem Wagen, dem Jahresurlaub. Das ist vermutlich der Grund, warum ich gar nicht groß darüber rede. Ich will niemanden neidisch machen, und erst recht niemanden mit irgendwas beeindrucken. Die Dinge kommen, wie sie kommen. Wer weiß schon, was am Ende besser ist. Ich nicht.
    Die treuesten Stammkunden sind sowieso längst Freunde geworden, sie kennen Inna und die Kinder, kommen auf unsere Feste, wissen Bescheid. Es ist so, wie es sein soll.
    W ä hrend ich mich hinter der Theke zu schaffen mache, lässt sich Bernd auf dem rechten Barhocker mir gegenüber nieder – sein Stammplatz. Die Theke bietet eigentlich Platz für vier Gäste, was ohnehin schon nicht viel ist. In Wahrheit aber sind es nur drei Plätze, weil eben einer davon von Bernd eingenommen wird. Und zwar von morgens bis zum Feierabend, von Montag bis Freitag.
    Ich stelle die große Kaffeemaschine an, räume den Geschirrspüler aus, lasse ein paar Orangen durch den Entsafter purzeln und verrichte weitere Handgriffe, die mir im Laufe der Jahre zur zweiten Natur geworden sind. Bernd kramt währenddessen seinen elektrischen Rasierer aus seiner
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