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Tagebücher der Henker von Paris

Tagebücher der Henker von Paris

Titel: Tagebücher der Henker von Paris
Autoren: Henri Sanson
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Einleitung
    Am 18. März 1847 kam ich ermüdet und erschöpft von einem jener langen Spaziergänge nach Hause zurück, bei welchen ich die abgelegensten Gegenden aufsuchte, um dort meine düsteren Träume und meinen fortwährend aufgeregten Geist begraben zu können. Kaum hatte ich die Schwelle des Hauses übertreten, kaum war das alte Torgitter knarrend in die verrosteten Angeln gefallen, als mir der Pförtner einen Brief übergab.
    Augenblicklich erkannte ich das breit zusammengefaltete Papier und das große Amtssiegel, bei dessen Anblick ich stets vor Schrecken und Schmerz erbebte. Zitternd griff ich daher nach der Botschaft und erwartete darin einen jener fürchterlichen Befehle zu lesen, welchen zu gehorchen mein furchtbares Amt mir zur Pflicht machte.
    In meinem Arbeitszimmer angelangt, löste ich verzweiflungsvoll das verhängnisvolle Siegel, welches irgendeinen Auftrag zur Todesvollstreckung einschließen sollte; nachdem ich aber den Brief geöffnet, las ich –
meine Entlassung!!!
    Ein ganz sonderbares und unerklärliches Gefühl bemächtigte sich nun meiner Person. Ich wandte meine Augen den Bildnissen meiner Ahnen zu; ich ließ meinen Blick über alle diese düsteren, nachdenklichen Gesichter hinschweifen, auf denen man den nämlichen Gedanken las, der auch mein Dasein bisher niedergedrückt und geschändet hatte.
    Ich betrachtete meinen Großvater, im Jagdanzuge, melancholisch auf sein Gewehr gestützt und mit der Hand seinen Hund liebkosend, vielleicht den einzigen Freund, der ihm vergönnt gewesen.
    Ich sah ebenfalls nach dem Bilde meines Vaters hin, welcher in Trauerkleidung gehüllt, die er nie ablegte, den Hut in der Hand, ernst dastand.
    Es schien mir, als ob ich alle diese stummen Zeugen davon in Kenntnis setzte, daß endlich jenes unselige Verhängnis, das auf ihren Geschlechtern gelastet, sein Ende erreicht und ich sie gleichzeitig meinem Beginnen beigesellte. Ich zog die Klingel, ließ mir ein Waschbecken und reines Wasser bringen, und hier – allein, ohne Zeugen, vor Gott, der bis auf den Grund des Herzens und bis in die innersten Falten des Gewissens sieht – wusch ich feierlich meine Hände, welche fortan von dem Blute meiner Mitmenschen nicht mehr besudelt werden sollten.
    Dann verfügte ich mich nach dem Gemache meiner Mutter, einer armen und heiligen Frau: denn auch wir fanden Frauen!
    Ich glaube sie noch vor mir zu sehen in ihrem alten, mit Utrechter Samt überzogenen Lehnstuhl, aus welchem sie sich nur noch mit Mühe emporrichten konnte. Ich legte den mir von dem Justizminister gewordenen Bescheid auf ihre Knie nieder. Sie durchlas ihn, und ihre freundlichen Augen, aus denen ich so oft meine ganze Kraft und meinen Mut geschöpft hatte, mir zuwendend, sagte sie:
    »Gesegnet sei dieser Tag, mein Sohn! Er macht dich frei von der blutigen Erbschaft deiner Väter; in Frieden wirst du den Abend deines Lebens genießen, und vielleicht wird die göttliche Vorsehung es bei diesen Gaben nicht allein bewenden lassen …«
    Und da ich, fast erstickt von Aufregung, in welcher die Freude endlich durchzubrechen begann, stets in Schweigen verharrte, fügte sie hinzu:
    »Übrigens mußte es wohl ein Ende nehmen. Du bist der letzte Sproß deines Geschlechtes. Der Himmel hat dir nur Töchter gegeben; ich habe ihm stets dafür gedankt.«
    Bereits am folgenden Morgen stritten sich achtzehn Bewerber um meine blutige Verlassenschaft, und ihre Bittschriften, mit den höchsten Empfehlungen versehen, liefen in den ministeriellen Vorzimmern von Hand zu Hand.
    Man sieht, meine Ersetzung verursachte keine Schwierigkeiten. Was mich selbst betrifft, so war mein Entschluß bald gefaßt. Ich beeilte mich, jenes von so traurigen Andenken bevölkerte Haus, wo sieben Generationen der Meinigen, in Schmach und Schande eingepfercht, ihre Tage verlebt hatten, ebenso meine Pferde, meine Equipage, auf welcher sich als Wappenschild eine zersprungene Glocke [1] befand, zu verkaufen. Mit einem Worte, ich entfernte alles, was ein Andenken an die Vergangenheit unterhalten oder erwecken konnte. Ich schüttelte den Staub von den Füßen und verließ jene erbliche Wohnung, wo ich, wie meine Ahnen, weder den Frieden des Tages noch die Ruhe der Nächte hatte genießen können. – – –
    Seit zwölf Jahren bin ich nun unter erborgtem Namen an diesem Orte wie begraben und genieße hier mit geheimgehaltener Schande Freundschaften, die zu usurpieren ich mir zum Vorwurf mache und welche ich durch die Entdeckung meines Inkognitos zu
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