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Zwei wie wir: Roman (German Edition)

Zwei wie wir: Roman (German Edition)

Titel: Zwei wie wir: Roman (German Edition)
Autoren: Philip Tamm
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Crumpler-Umhängetasche, beginnt sich mit noch halb geschlossenen Augen zu rasieren und erzählt mir dabei, dass er am Morgen überlegt hätte, ob er nicht gemeinsam mit seinem Föhn ein Vollbad nehmen sollte.
    »Warum hast du es nicht getan?«, frage ich, während ich die Bagels aus der Lieferkiste nehme und in zwei Hälften zerteile.
    »Hab keine Badewanne.«
    »Du könntest es unter der Dusche versuchen.«
    »Einen Föhn habe ich auch nicht.«
    »Was ist mit dem Rasierer?«
    »Hab’s probiert. Der hat nur zwölf Volt.«
    Sanfte Erschütterungen lassen uns verstummen, Brommi ist im Anmarsch, ein weiterer Stammkunde. Bernd und ich fühlen uns wie zwei Homo erectus im Pleistozän, die anhand der Stoßwellen den Anmarsch eines Brontosaurus spüren. Brommi ist Ende fünfzig, trägt einen schwarzen FC -St.-Pauli-Kapuzenpullover, schwarze Jeans, schwarze Sneakers. Immer. Nur sein eigentlich schwarzes Haar ist inzwischen weiß geworden, dafür aber immer noch so fettig wie vor dreißig Jahren. Brommi hat ein Kreuz so breit wie ein LKW . Der einzige Mann, den ich kenne, der alleine ein Klavier heben kann. Brommi ist Anarchist, lebt seit den Achtzigern in der Schanze, besitzt einen alten VW -Bulli, in dem er meistens auch wohnt und mit dem er eine Ein-Mann-Umzugsfirma betreibt.
    »Moin, Alex. Moin, Bernd.«
    »Moin.«
    Brommi setzt sich neben Bernd, und ich merke, dass ich meine Aussage revidieren muss. Die Theke bietet Platz für vier Gäste, aber eigentlich sind es nur zwei, weil zwei von Bernd und Brommi eingenommen werden. Den ganzen Tag.
    »Und? Hat’s wieder nicht geklappt?«, fragt Brommi grinsend,siehtBerndanundimitiertpantomimischeinenStrick, an dem sich jemand aufhängt.
    »Ich möchte nicht darüber reden«, sagt Bernd.
    »Ich könnte dir helfen«, sagt Brommi.
    »Ach ja?«
    »Ich fahr dich auf die Köhlbrandbrücke. Da könntest du runterspringen.«
    »Danke, ich komme drauf zurück.«
    »Wirklich, Bernd. Du wirst noch depressiv, wenn dir die ganzen Selbstmordversuche misslingen. Das ist nicht gut für dich.«
    Ich stelle eine Tasse Filterkaffee, schwarz, vor Brommi. Natürlich boykottiert er alle modernen Kaffeekreationen.
    »Lass ihn in Ruhe«, sage ich.
    »Ich will doch nur helfen«, verteidigt sich Brommi.
    »Eben.«
    Darryl, ein gestrandeter Amerikaner, kommt herein, summt ein paar Bluestöne, lässt sich ebenfalls am Tresen nieder.
    »Hey, Alex, hey Jungs. It’s a fucking good day .«
    Er zückt eine Zigarre aus seinem fadenscheinigen Jackett, aber ich nehme sie ihm ab, bevor er sie anzünden kann. »Vergiss es, Darryl. Nicht hier drin. Andere Gäste wollen atmen.«
    »Hey, die ist kubanisch, Alex. Ich kann dir welche davon besorgen. Spezieller Preis, nur für dich.«
    Darryl ist Pianist und spielt an den meisten Abenden im Hafenhotel in der Lobby. Danach tingelt er durch die Sessionbühnen der Stadt, geht keine Nacht vor Sonnenaufgang ins Bett und klammert sich ansonsten fest an den Glauben, dass man trinken, Drogen nehmen und zu Prostituierten gehen muss, um als Jazzmusiker Erfolg zu haben. Er ist ein beeindruckend guter Musiker, und ich habe ihn zweimal mit Gästen zusammengebracht, die über Musik schreiben und Kontakte zu Labels haben. Keine Chance, nicht bei Darryl. Er möchte entdeckt und nicht vermittelt werden.
    Bernd fängt an, auf sein Laptop einzuhacken, Brommi und Darryl diskutieren über Fidel Castro und die Kubanische Revolution. Die Urban Farmers von gegenüber kommen zum Frühstücken herein, nette Jungs, die auf den Dächern der umliegenden Häuser in Plastikkisten Obst und Gemüse anbauen. Ich kaufe ihnen regelmäßig einen Teil ihrer Ernte ab, aber es bleibt eine Tatsache, dass Hamburg eine viel zu grüne und große Stadt ist, als dass Asphalt-Gärtnern wirklich Sinn machen würde. Aber wer fragt danach?
    D e r Laden füllt sich mit weiteren Gästen, und auch die Tische vor der Tür sind jetzt besetzt. Ich werde mit Bestellungen überhäuft und wirbele hinter der Theke herum, als wäre ich ein indischer Gott mit acht Armen, dem sechs davon leider ausgefallen sind. Ein ganz normaler Tag im Schuster’s.
    Im Hintergrund läuft Musik vom Bombay Bicycle Club . Ich bin gut gelaunt, aber trotzdem sinkt mein Energielevel immer mehr nach unten. Kein Wunder, ich habe bisher nicht einmal fünf Minuten Zeit gehabt, um selbst einen Kaffee zu trinken oder etwas zu essen. In meinen Augen ist es ziemlich offensichtlich, dass dieser Job alleine nicht mehr zu bewältigen ist. Ich brauche dringend
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