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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
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wünschte mir nichts sehnlicher, als dass mein Heimatland wieder gesundete. Wie ein Kranker, so stellte ich mir vor, sollte es sich aus dem Bett erheben, von neuen Kräften beseelt. Dann würden meine Eltern zurückkehren, und alles wäre gut. Ich durfte nicht wegschauen, ich musste mithelfen, den Traum von der Verwirklichung des Kommunismus zu, ja was?   … zu verwirklichen.
    So viel zu meinem aufflammenden Kampfgeist. Wenige Minuten später bröckelte mein Mut, der Atem quietschte, ich weinte und jammerte. Die beiden goldigen Kinder, mein netter Lehrer und seine hübsche Frau hörten mir zwischen selbst gebackenen Cremeschnitten und einem Glas Leitungswasser aufmerksam zu. Schließlich räusperte sich Herr Honigberger.
    »Ein aktives territoriales Verhalten ist den Menschen angeboren und bietet für gewöhnlich ausreichend Schutz gegenüber Feinden. Aber, Agnes, du musst deine Eltern verstehen, im vorliegenden siebenbürgischsächsisch geschwächten Fall reicht das leider nicht aus.«
    Dass es keinen Kaffee gab, nahm ich Herrn Honigberger nicht übel, aber dass er gegen mein Unglück nichts ausrichten konnte, schon.
     
     
    Es hatte geregnet. Die Straßen glänzten nass, das Gras lag zerquetscht. Hungrig drang die Sonne durch die Wolkendecke. Als ich in Zeiden den Bus verließ, stieg Dampf vom Trottoir auf und die Vögel benahmen sich wie blöd, jagten sich am Himmel, kämpften um die besten Badeplätze. Ich ging langsam, schlenderte zur Alimentara, kaufte ein und ergatterte sogar noch ein Brot.
    Auf der Theke lag der
Neue Weg
. Weil er aufgeschlagen worden war, konnte ich die Meldung auf der vierten Seite lesen. Sie galt dem Freundschaftsbesuch des neuen Kreml-Chefs. Von Herzlichkeit war die Rede. Dabei hatten sie im Fernsehen gezeigt, dass Michail Gorbatschow Ceauşescu zum Bruderkuss überreden musste.
    Zu Hause – die Ernüchterung. Die Eingangstür stand einen Spaltbreit offen. Noch bevor ich eintrat, wusste ich: Es war eingebrochen worden.
    Mein Einkaufsnetz wurde schwer. Ich ließ es fallen. Konserven kullerten durch das Treppenhaus, zwei Zwiebeln, das kostbare Brot. Meine Nachbarin Rodica kam aus ihrer Wohnung. Ihr schmales Gesicht hielt sie mit beiden Händen eingerahmt, als wolle sie es schützen. Sie lachte immer, wenn sie mich sah, doch heutewar ihr das Lachen zwischen den Händen stecken geblieben.
    »Sie sind noch nicht lange weg«, flüsterte sie, wie um böse Geister nicht zu wecken.
    »Ja.« Zitternd starrte ich auf das aufgebrochene Schloss, traute mich nicht hinein.
    »Polizei in Zivil, hat die alte Duran gesagt, ich bin erst jetzt nach Hause gekommen. Es tut mir alles so leid.« Rodica war groß, doch sie streckte sich, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen.
    »Hat sie noch mehr erzählt, die Duran?«
    »Ob sie einen Schlüssel hat, haben sie gefragt.« Betonung auf dem sie. Ein harter Zischlaut, voller Verachtung und Angst. »Die Duran hat ihn nicht hergegeben, da haben sie eure Tür aufgebrochen. Es tut mir so leid«, wiederholte Rodica. »Ich bin zu spät gekommen.«
    »Wozu zu spät? Sie tun doch nur ihre Pflicht, ich bin nun mal das Kind von Flüchtlingen.«
    Gemeinsam schauten wir uns die Bescherung an. Hand in Hand, wie jung Verliebte. Die Schubladen waren aufgerissen, die Betten hochkant gestellt worden. Wertvolles fehlte, Fernseher, Telefon, Eiskasten, aber auch Bücher, Schallplatten, selbst meine Geige.
    »Ich gehe mit dir zur Polizei«, schlug Rodica vor, »lass mich nur rasch Nicolaie Bescheid sagen.« Nicolaie war ihr Mann. Er arbeitete in der Tractoru, Kinder hatten sie keine. Deshalb füllte ich die Kinderrolle aus. Die beiden hatten mich oft zum Essen eingeladen.
    »Nein«, rief ich aus. Auf gar keinen Fall wollte ich meine Geige wiederhaben. Entschieden lehnte ich ihre Dienste ab, doch Rodica brachte mich mit einer ungeduldigen Handbewegung zum Schweigen.
    »Du bist das Opfer willkürlicher Bürokratie, und ich werde dich verteidigen.«
    Auf dem Polizeirevier kämpfte sie wie eine Löwin. Sie drohte mit einem Anwalt, sie drohte damit, ihre Arbeit niederzulegen, sie drohte damit, das Land zu verlassen. Die Polizisten zuckten mit den Achseln und befahlen uns heimzugehen.
    »Es gibt genügend anständige Menschen in diesem Land«, sagte der kleinste der vier anwesenden Polizisten. »Die Wohnung ist schon weitervermietet. In zwei Tagen muss sie geräumt sein.« In der Hand hielt er einen Schlagstock. Vielleicht hielt auch der Stock den Menschen. Die Hand wippte, der
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