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Zusammen Allein

Titel: Zusammen Allein
Autoren: authors_sort
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Schlagstock wippte.
    Wir gingen heim.
    »Wenn ich weitergeredet hätte, wäre auch meine Wohnung weg gewesen«, tuschelte Rodica im Bus. Sie tuschelte in meinen Blusenausschnitt, das kitzelte, trotzdem lachte ich nicht. »Du kannst bei uns wohnen.« Sanft drückte sie meinen Arm, und da wusste ich, dass sie mehr als meinen Arm wollte. Sie wollte mich ganz.
    »Die Erikatante wartet bereits auf mich.«
    Doch das stimmte nicht, niemand wartete auf mich.
     
     
    Es war ein schneller Abschied vom Landleben. Gicuonkel kam mit einem geliehenen Lastwagen, sammelte die restlichen Möbel aus unserer Blockwohnung ein und karrte sie und mich in das ehemalige Haus meiner Urgroßmutter.
    Obwohl ich in Kronstadt zur Schule ging, sah ich die Stadt plötzlich mit anderen Augen. Sie war groß, sie war hässlich, ein Tier, dem man ein staubiges Fellübergezogen hatte. In der Karl-Marx-Straße fuhren die Busse und Trolleybusse im Minutentakt. Dicke Rauchwolken hingen über den Häusern. Kein Baum, kein Strauch zeigte seine natürliche Färbung, alles war von einer graugrünbraunen Patina überzogen. Die Häuserfassaden wirkten einheitlich grau, nur an einer einzigen Stelle unterbrach eine Baulücke, schwarz, die Zeile, wie ein fehlender Zahn.
    Emsig wurde ein Bett für mich aufgestellt. Im Zimmer der Jungen, das gleichzeitig auch den Durchgang bildete zwischen Bad/Küche und Elternschlafzimmer. Das gleichzeitig auch als Speisekammer diente, für gehortete Lebensmittel. Da der Raum kein Fenster hatte, war es im Sommer kühl, im Winter fielen die Temperaturen nicht so stark wie in den angrenzenden Zimmern. Die Nahrungsmittel versöhnten mich mit dem erzwungenen Umzug. Ich musste nur die Hand heben, um die Einmachgläser mit Gogoşar, Salzgurken und Marillenkompott zu erreichen. Das tat ich auch, die Jungs schliefen tief und fest, und ich aß nachts bei Kerzenschein die Regalbretter leer. Der Sommer hatte sich bereits angemeldet, wozu das alte Zeug aufbewahren? Trotzdem stellte ich die leeren Gläser nach hinten, die vollen nach vorn. Dabei fand ich mehrere Zeitschriften mit barbusigen Frauen und einen Neckermannkatalog aus dem Jahr 1978.   Der Besitz war verboten und konnte mit einer Geldstrafe belegt werden. Ob das auch für elf Jahre alte Exemplare galt, entzog sich allerdings meiner Kenntnis. Trotzdem: In der Waschküche zündete ich ein Feuer an und verbrannte den Mist. Meine Angst, dass eine Hausdurchsuchung dazu führen könnte, dass ich wieder heimatlos wurde, war einfach zu groß.

2
    »Was hast du getan?«, fragte Gicuonkel drei Wochen später.
    Ich dachte an die leeren Gläser, ich dachte an die verbrannten Zeitschriften. Wenigstens den Katalog hätte ich leben lassen sollen.
    »Du blöde Kuh hast in der Schule herumerzählt, dass du bei uns wohnst, der Hausmeister hat es mir erzählt.« Erstaunt schaute ich vom Abendessen auf. Selbst der halbseitig gelähmte Großvater vergaß seinen Getreidebrei zu löffeln.
    »Joi, sowieso wissen sie es. Wieso dieser Wind?«, bremste ihn meine Tante. »Oder glaubst du, dass irgendetwas in diesem Land passiert, von dem sie nichts wissen? In jeder Kakerlake steckt eine Wanze.«
    Doch ihr Mann, dem ich beleidigt den Titel: »Mein ehemaliger Onkel« verliehen hatte, war nicht zu bremsen. Wie ein Auto mit gelöster Handbremse rollte er den Berg hinunter, direkt auf mich zu. »Die können es von mir aus wissen, doch die ganze Stadt muss es nicht erfahren. Ich bin Briefbote gewesen, man kennt mich, man wird mich schräg anschauen, wenn ich eine Saboteurin beherberge.«
    »Was redest du, du Depp? Ihre Eltern haben nur das Land verlassen, wie du das am liebsten auch machen würdest.«
    »So, würde ich das, woher willst du das wissen? Undred noch lauter, damit es auch die Nachbarn hören. Damit ich meine Stelle wieder wechseln muss. Ihr Sachsen seid unser Untergang. Aber jetzt sind wir die Herren, klar?« Sein Blick traf mich wie ein Messer. »Klar?«, wiederholte er lautstark. Alle Nachbarn konnten es hören.
    Die Zwillinge bissen sich auf die Lippen, sie grinsten ein bisschen, sie fürchteten sich ein bisschen. Die Hand ihres Vaters war schnell, und man wusste nie, wo sie landen würde.
    »Wasch isch insch disch gefahrschen?«, nuschelte der halbseitig gelähmte Großvater. Keiner verstand ihn. Ich duckte mich unter Gicus rumänischem Worthagel, der immer noch andauerte.
    »Du gehörst zur Familie, du bist unser Gast, du tust, was ich dir sage. Und du lässt die Finger von meinem
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